„Die Neugestaltung der Innenstadt Dresden“
Pläne des Dresdner Stadtplanungs- und Hochbauamtes von 1937 bis 1940

Thomas Kantschew  - Mai 2025
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Finanzierung und kritische Stimmen
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„Vorentwurf für die Neugestaltung der

Innenstadt Dresden“ 1946

Conert-Plan
: der erste Dresdner Aufbauplan


Nach den Luftangriffen auf Dresden am 13. und 14. Februar 1945 wurde in den Monaten bis zum Ende des Krieges am 08. Mai 1945 in der Durchführungsstelle zur Neugestaltung der Innenstadt Dresden daran gedacht, dass

"sich nach dem jetzigen Stand der Zerstörung das engere Stadtbild am Schloßplatz, Georgentor und Theaterplatz wieder herstellen läßt. Daraus ergibt sich aber, daß die notwendige Nordsüd-Hauptverkehrsstraße nicht über die Friedrich-August-Brücke und durch einen radikalen Durchbruch durch das Georgentor und durch den alten Stadtkern zu schaffen ist, sondern daß an dem seitherigen Plan, wonach diese Hauptverkehrsstraße im Zuge der König-Albert-Straße - Carolabrücke - Rathausplatz - Wiener Platz zu führen ist, festgehalten werden muß.

Für die gleichfalls sehr wichtige Ostwest-Achse ist durch die Zerstörung aller Gebäude an der Grunaer Straße - König-Johann-Straße - Wilsdruffer Straße - Postplatz - Wettiner Straße der Weg für eine großzügige Lösung frei geworden, zumal dieser Straßenzug eine günstige Fortsetzung ostwärts in der Stübelallee und westwärts in der Hamburger Straße und Meißner Landstraße findet.“
 (114)


  114)  Brief von Fritz Arnold an den Oberbürgermeister vom 15.06.1945, Betr. Durchführungsstelle für die Neugestaltung der Stadt Dresden. S.4-5., Akte Dezernat Aufbau 25 "Durchführungsstelle" für die Neugestaltung der Stadt Dresden", Stadtarchiv Dresden



An diese grundsätzlichen Überlegungen knüpfte nach dem 8. Mai 1945 der neue Dresdner Stadtbaurat Herbert Conert an. Herbert Conert, seit dem 11.Mai 1945 Nachfolger als Stadtbaurat von Paul Wolf, arbeitete an den Wiederaufbauplänen für das zerstörte Dresden. Conert griff in seinem „Vorentwurf für die Neugestaltung der Innenstadt“ deutlich auf vorhandene Planungen von 1938 zurück. Schließlich hatte er als Stadtbaudirektor des Dresdner Stadtplanungsamtes (seit 1922) und Leiter des Stadtplanungsamtes Dresden (seit 1932) genaue Kenntnisse von den Neugestaltungsplänen für Dresden in den späten 1930ern.

Selbst verfasster Lebenslauf von Herbert Conert aus dem Jahr 1943 (Bundesarchiv Berlin) (115)

Walter Weidauer (KPD/ SED) war als Oberbürgermeister erst am 10. Oktober 1946 gewählt worden, nach Rudolf Friedrichs, Johannes Müller und Gustav Leißner. Weidauer veröffentlichte nach dem Tod von Conert am 7. Juni 1946 dessen Text am 16.Juni 1947 mit dem Titel „Gedanken über den Wiederaufbau Dresdens“ unter seiner Mitwirkung.

Verwunderlich ist, derselbe Mitarbeiter des Dresdner Stadtplanungsamtes in der NS-Zeit der 1930er und 1940er Jahre, Baudirektor Herbert Conert, verwendete nun als Stadtbaurat 1945 nicht nur denselben Titel in seinen Überlegungen zum Wiederaufbau „Vorentwurf für die Neugestaltung der Innenstadt Dresden“, sondern knüpfte auch inhaltlich stark an die Überlegungen der Umgestaltungspläne von 1938 an!
Das zeigt: eine Stunde Null hat es 1945 in Dresden in Sachen Stadtumbau nicht gegeben. Kontinuitäten sind sowohl in Personen als auch in Teilen der Planungen erkennbar.

Im Conert-Plan „Vorentwurf für die Neugestaltung der Innenstadt Dresden“ 1946 wurden fast die gleichen Schwerpunkte gesetzt, wie im Paul-Wolf-Plan 1938: um die Altstadt Dresden ein leistungsfähiger breiter, grüner Verkehrsring. An den ehem. Bastionen überall breitere Plätze mit deutlicherer Ausdehnung gegenüber dem Vorkriegszustand. Traditionelle Blockrandbebauung, aber durchzogen von neuen Plätzen und offenen (Grün-) Räumen in der Innenstadt.
Allerdings die radialen Ausfallstraßen, die auf das Dresdner Zentrum zuführen, sind dann 1946 noch breiter (z.B. Grunaer Straße, Schweriner Straße/Schäferstraße, Pillnitzer Straße oder die Albertstraße in der Inneren Neustadt). (116)
In der Inneren Neustadt wird das enge Barockviertel mit einer neuen Durchbruchstraße vom Carolaplatz zum Palaisplatz über die Hauptstraße verkehrstechnisch besser erschlossen. Der Neustädter Markt wäre somit von einer durchschneidenden Verkehrstangente verschont geblieben.



Conertplan 1946 „Vorentwurf für die Neugestaltung der Innenstadt der Landeshauptstadt Dresden“
Conertplan 1946 „Vorentwurf für die Neugestaltung der Innenstadt der Landeshauptstadt Dresden“, Vom Rat der Stadt Dresden, In: „Gedanken über den Wiederaufbau Dresdens“ Vortrag von Conert vom 22.11.1945, veröffentlicht unter Mitarbeit von Walter Weidauer 1947


In Bezug auf die gegenwärtigen Diskussionen in Bezug auf den Zusammensturz und den bevorstehenden Neubau der Carolabrücke 2024 ist jene Passage aus den Conert-Erläuterungen aufschlussreich:

"Die Nord-Süd-Durchgangsstraße dagegen wird nicht dem Straßenzug Prager Straße, Seestraße, Schloßstraße folgen können. Sie muß eine erhebliche Breite erhalten; (...) All diese zerstörenden Wirkungen können vermieden werden, wenn man diese Nord-Süd-Verbindung - ein Gedanke, der schon früher aufgetaucht ist - vom Albertplatz über die Albertstraße, Carolabrücke, deren Verbreiterung beim Wiederaufbau vorgesehen ist, Ringstraße und in gerade Fortsetzung durch die Christianstraße zum Hauptbahnhof führt.
(...) während die Nord-Süd-Durchgangsstraße Großbauten wie Verwaltungsgebäude, Hotels, Großhandlungen usw. aufzunehmen hat." 
(117)

Diese wichtige Nord-Süd-Verkehrstrasse, das Verkehrsrückgrat des heutigen Dresdens, in den 1930er Jahren konzipiert, wurde dann tatsächlich ab 1964 in dieser Altstadtumfahrung umgesetzt, allerdings mit immens trennender Barrierewirkung zu den Stadtteilen im „zentralen Bezirk“.
Darüber hinaus achtete der Stadtbaurat Conert 1946 auf die Aktivierung der alten Ringstraße (26er Ring) um die Innenstadt als Hauptverkehrsstraße.
Der an diesem äußeren Ring gelegene Wiener Platz hätte im Prinzip eine ähnliche Gestaltung wie im Plan 1938 erhalten mit den zwei nach Norden führenden, grün geprägten Hauptstraßen Richtung Postplatz und Rathausplatz. Durch die Wilsdruffer Vorstadt war im Conertplan wieder eine breite Durchbruchstraße konzipiert, ähnlich wie im Neugestaltungsplan von Paul Wolf von 1937.

Die bereits in den 1930er Jahren erwogene Kahlschlagsanierung der als „ungesund“ beschriebenen Altstadtquartiere wurde dann nach der Bombardierung 1945 während der Trümmerbeseitigung im großen Maßstab auf den entstandenen freien Flächen umgesetzt. Verbliebene halbwegs intakte Wohnhäuser mussten mit breit angelegten Flächenabrissen den neuen Stadtumbau-Plänen weichen. (118)

Seltsamerweise wurden die Pläne mit einem Turmbau und der scharf rechteckigen Kubatur des Wiener Platzes auch noch 1946 in den ersten Wiederaufbauplänen variierend verwendet.


Zeichnung 1946 Wiener Platz mit Turm und neuer Fassade am Hauptbahnhof
Zeichnung 1946 Wiener Platz mit Turm und neuer Fassade am Hauptbahnhof
In: Walter Weidauer: Die Verwirklichung des großen Dresdner Aufbauplanes für das Jahr 1946. Stand der Arbeiten nach dem ersten halben Jahr, Referat Weidauer, Dresden 1946, Vergrößerung



  115)  Selbstverfasster Lebenslauf und Befreiungsantrag bei der  Reichsschrifttumkammer 1942. Barch R 9361-V715915, Conert, Herbert, 8.9.1886 – Sammlung Berlin Document Center (BDC): Personenbezogene Unterlagen der Reichskulturkammer (RKK), Bundesarchiv Berlin Lichterfelde

116)  Eine gute Übersicht über die verschiedenen Dresdner Wiederaufbaupläne im ersten Jahrzehnt nach 1945 gibt: Andreas Steffen-Kriege: Das Stadtbild und die Idee der Stadt in den städtebaulichen Diskursen der Nachkriegszeit. 2020, im Kapitel: Verkehr als richtungsweisendes Element im Städtebau“, S.103-112.

117)  Herbert Conert „Gedanken über den Wiederaufbau Dresdens“ (Vortrag von Conert vom 22. November 1945, veröffentlicht unter Mitarbeit von Walter Weidauer), Dresden 1947, S.20-22.

118)  Siehe: Matthias Lerm: Abschied von Dresden. Kapitel: Großflächenenttrümmerung, S.73 - 87, Leipzig 1993


Im Archiv des Stadtplanungsamt Dresdens (jetzt im Stadtarchiv) haben sich noch
zwei weitere Zeichnungen für den Wiederaufbau der Innenstadt erhalten, die im Zusammenhang zu Conerts Plänen 1945/46 stehen. Zum einen wird ein neuer Rathausplatz gezeigt mit einer massiven Aufweitung und dem bereits 1938 geplanten Durchbruch Christianstraße zum Hauptbahnhof.


Durchbruch Christianstraße, Stadtarchiv Dresden, 6.4.40.1 Stadtplanungsamt Bildstelle, Nr. XIII5318, Fotograf/in unbekannt, 1945/46, Vergrößerung


In einer dritten Zeichnung ist eine großzügige und einheitliche Platzlösung für einen neuen Postplatz dargestellt. Auch sie erinnert stark an die Pläne von 1938/39 mit einem massiv vergrößerten Postplatz.
Auf allen drei Zeichnungen ist lediglich ein idealisiertes Raumbild visualisiert, auf der kein einziges Auto zu finden ist, obwohl die immensen Verbreiterungen der Innenstadt-Hauptstraßen gerade auch für den wachsenden automobilen Verkehr geschaffen werden sollten.

Es muss widersprochen werden, dass Conert mehr oder weniger am alten Stadtgrundriss festhalten wollte, wie in der Forschungsliteratur oft behauptet, u.a. bei Katja Marek 2009:

Stadtbaurat Herbert Conert hatte bereits 1945 vorgeschlagen, sich an der historisch gewachsenen Stadtstruktur zu orientieren. In seiner Version des Wiederaufbaus Dresdens entspricht der Altstadtkern seinem Zustand vor der Zerstörung. Die Verkehrsführung außerhalb dieses historischen Zentrums wird zwar ausgebaut, orientiert sich aber stark an den vorhandenen Strukturen. (119)

Das ist eben nicht der Fall. Als einer der wichtigsten Mitarbeiter von Paul Wolf in den Jahren der nationalsozialistischen Herrschaft und als verantwortlicher Leiter des Stadtplanungsamtes ab 1932 hatte Conert genaue Kenntnisse der Neugestaltungspläne in den Jahren vor und nach 1938, hat sie mutmaßlich im Detail mit ausgearbeitet. Stadtbaurat Conert orientierte sich 1946 in seinem Neugestaltungsplan Innenstadt Dresden eben nicht an den vorhandenen Strukturen außerhalb des Altstadtkerns, sondern löste sich von ihnen in einer mehr als großzügigen Verkehrsplanung. Auch die 1938 konzipierte Aufmarschachse, ausgehend vom Rathaus, tauchte wie selbstverständlich in seinen Plänen wieder auf, natürlich jetzt ohne das Gauforum von Wilhelm Kreis.

Allein die Formulierung und Eingrenzung bei K.Marek eines vermeintlich übergeordneten „historischen Zentrums“ im Altstadtkern muss man kritisch sehen, denn wie gezeigt, ging die Altstadt wesentlich weiter bis an den Eisenbahnring im Westen und bis zum Ausstellungsgelände im Osten der Innenstadt.

1946 nach dem Tod Conerts im Juni folgten die vielen Wieder- und Neuaufbauvorschläge, sowohl in der Ausstellung „Das neue Dresden“ (ab 20. Juli 1946), als auch in den Jahren danach, auf der Suche nach einer neuen (und alten) Identität der Stadt, die im Grunde bis heute anhält.


  119)  Katja Marek: Rekonstruktion und Kulturgesellschaft. Stadtbildreparatur in Dresden, Frankfurt am Main und Berlin als Ausdruck der zeitgenössischen Suche nach Identität. Dissertation Universität Kassel 2009, S.17



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Einleitung
Pläne 1920er Jahre, 1934, Gauforum 1937

Plan 1937
Erste Stufe
Plan Juli 1938 
Zweite Stufe
Plan Herbst 1938
Dritte Stufe

Umgestaltungspläne an Plätzen.
Einzelprojekte Teil 1
Umgestaltungspläne an Plätzen.
Einzelprojekte Teil 2
Verkehrsaspekte "Großstadtgesundung"
und "Rassenhygiene"
Mutschmannplan 1939
"Neugestaltungsstadt"
Vierte Stufe
Plan 1940
Fünfte Stufe
Finanzierung und kritische Stimmen  1946, Conert-Plan
„Vorentwurf für die Neugestaltung der Innenstadt Dresden“
Fazit Quellen- und Literatur