Lingnerallee - Herkulesallee

Geschichte eines öffentlichen Raumes. Städtebau und Politik zweier Achsen im Dresdner Zentrum
 

Teil 3    Entwicklung von 1990 bis in die Zukunft


Teil 2    Entwicklung von 1945 bis 1989

Teil 1    Entwicklung von 1889 bis 1945


Text von Thomas Kantschew (08. Juli 2024)


1990


Noch vor der staatlichen deutschen Einheit organisiert der Architekt Meinhard Gerkan aus Dresdens Partnerstadt Hamburg im Sommer 1990 einen "west-östlichen Architektenworkshop Dresden". Elf Gruppen, zusammengesetzt aus Architekten von  beiden Teilen Deutschlands, entwerfen ganz neue städtebauliche Visionen für Dresden, so auch für das Robotron-Areal. Zentrales Element in Gruppe 7 (Ulf Zimmermann und Stephan Braunfels) ist ein neuer Promenadenring mit Wassergraben. Östlich soll sich wieder einen Ost-West-Achse anschließen mit Sitz für die neue Sächs. Landesregierung.


Entwurf Gruppe 7 (Braunfels, Zimmermann), aus: West-Östlicher Architektenworkshop zum Gesamtkunstwerk Dresden 1990. Vergrößerung (28)


Ganz anders dagegen Gruppe 11 (Egbert Kossak aus Hamburg und Margret Böthig aus Dessau u.a.). Sie entwerfen mit ihrem Konzept "Diagonale Großer Garten - Schlachthof" eine völlig neue, die Stadt schräg durchziehende Achse entlang der Pieschener Allee bis zur ehemaligen Johann-Georgen-Allee, etliche Kilometer lang, ohne auf bisherige Wegebeziehungen der Nord-Süd-Ausrichtung einzugehen.


Entwurf Gruppe 11 (Kossak, Böthig, Heinemann), aus: West-Östlicher Architektenworkshop zum Gesamtkunstwerk Dresden 1990. Vergrößerung (28)

Alle Entwürfe sind in dieser turbulenten Aufbruchsphase nur lose Gedankenspiele, in etwas Neues vorzustoßen, was sich teilweise aus dem Blick in die Stadtgeschichte entwickeln könnte. Die in unserem Zusammenhang untersuchten Achsen werden bei diesen beiden Architektenteams ganz unterschiedlich in Szene gesetzt.

28) West-Östlicher Architektenworkshop zum Gesamtkunstwerk Dresden 1990, Hochschule für Bildende Künste Dresden, Gerkan, Meinhard von [Hrsg.], Hamburg 1990



1993/ 94


Nach dem großen gesellschaftlichen und staatlichen Umbruch 1990 schreibt die Stadt Dresden einen Wettbewerb zum östlichen Altstadtring aus. Den ersten Preis errang 1994 das Architekturbüro Müller (Djordjevic-Müller und Krehl) aus Stuttgart. In einem hochverdichteten, versiegelten Stadtraum – unter Abriss aller vorhandenen DDR-Gebäude – wird in ihrem Entwurf eine konturiertere Straße nach „europäischer Tradition“ mit postmodernen Einsprengseln konzipiert, die sich ebenfalls auf die vorhandene Sichtachse zum Rathausturm bezieht (mit roten Bäumen markiert). Der Entwurf bleibt Makulatur.
In der städtischen Aufmerksamkeit gerät das Areal für lange Zeit in Vergessenheit.



Wettbewerb Rahmenplan östlicher Altstadtring Dresden, 1. Preis: Entwurf Müller 1994: Abschied von den weitläufigen, offenen Räumen der Moderne, städtebauliche Verdichtung unter Abriss Tausender Büro-und Wohnplattenbauten (Bestand). Vergrößerung
Foto: "Dresden - Europäische Stadt. Rückblick und Perspektiven der Stadtentwicklung, Symposium Dresden 2000" - Grundriss auf dresden.de



um 2000 - die „neue“ Lingnerallee


Um das Jahr 2000 wird die vorhandene schräge "historische" Lingnerallee als Bezeichnung für den Fuß- und Radweg nach Westen verlängert bis zum vorher unbenannten Robotron-„Platz“. Mit dieser Neubenennung bekommt der Stadtraum hier zum ersten Mal eine offizielle Bezeichnung. Die Verlängerung der diagonalen Johann-Georgen-Allee (Lingnerallee) mit einem Knick Richtung Rathaus scheint die einfachste Lösung zu sein, der Fußgängerzone eine offizielle Lokalisierung im Stadtplan zu geben, obwohl es eigentlich zwei verschiedene „Straßen“ sind.


Robotron Bürozeile Petersburger Straße und Straßenschild Lingnerallee
Straßenschild „Lingnerallee“ am Beginn des grünen Freiraumes am
ehemaligen Robotrongelände/ St. Petersburger Straße,
Foto: T.Kantschew,  Juni 2024



2006




Entwurf Skaterpark Lingnerallee (pragmatisch weitergenutzt: alle Robotron-Gebäude)
Plan: Büro: atelier8 landschaftsarchitektur

2006 wird ein Wettbewerb zur Nutzung und Ausgestaltung des brach liegenden Robotron- Freiraumes durchgeführt. Es gewinnt das Berliner Büro: atelier8 landschaftsarchitektur unter Leitung von Horst Heinisch. Im Erläuterungstext heißt es: „Zwischen Rathaus/ Altstadt und Großem Garten erstreckt sich die Herkulesallee als grünes städtebaulich wirksames Band, in das sich der Skatepark wie eine Intarsie einfügt. Die Verknüpfung mit dem Stadtring wird durch die Fortführung der Baumreihen der Herkulesallee hergestellt. Durch die Differenzierung in der Ausbildung von doppelten und einfachen Baumreihen wird eine Auflockerung innerhalb der strengen Struktur bewirkt und die Orientierung und Raumbildung unterstützt.


2008



Planungsleitbild Dresden 2008 mit dem Motto "Lebendige Geschichte - Urbane Stadtlandschaft". Entwickelt von Franz Pesch u. Partner. Das Robotronareal wird geplant als "hochwertiger Standort für Büronutzungen". Foto: Präsentationsbroschüre der Stadt Dresden

Im neuen „Planungsleitbild Innenstadt“ unter Herbert Feßenmayr (Beigeordneter Stadtentwicklung) und Stadtplanungs-Amtsleiter Andreas Wurff wird ein Gesamtplan für die weitere Stadtentwicklung der Landeshauptstadt Dresden konzipiert.
Ein Entwicklungsschwerpunkt ist das Robotron-Quartier. Im Text heißt es: "Mit dem Heranführen des Großen Gartens an das Stadtzentrum entstehen neue Lagewerte an Lingnerallee und Robotronareal“. Anvisiert ist der Rückbau der weiten offenen Ostmoderne-Räume für eineBlockrandbebauung“ und „Raumkanten“. Durch diese neuen Raumkanten soll wieder mehr ein Raumgefühl entstehen. Der „undefinierte“ Fußgängerbereich in der Mitte des Robotronareals bekommt eine strengere geometrische Definition. Allerdings wird durch diese neue Raumkante stärker an die Planungen der 1930er mit der Ost-West-Achse erinnert, die quasi im Stadtgedächtnis noch immer präsent ist. Tatsächlich entsteht jetzt - in der Planung - eine durchgehende Achse, wo vorher real noch keine war.


2009 Werkstattverfahren Südliche Pirnaische Vorstadt / Robotron


Die Stadt Dresden führt 2009 ein „Werkstattverfahren südliche Pirnaische Vorstadt/ Robotron“ unter Leitung des Beigeordneten für Stadtentwicklung Harald Marx durch.
Im Ergebnis heißt es in einer Publikation:
"Wesentliches Leitmotiv der Planungen der 90er Jahre und wiederum aufgenommen im Planungsleitbild Innenstadt 2008 ist die Fortführung der Herkulesallee bis an den Altstadtkern. Zur Aktivierung dieser Beziehung wurde im westlichen Teil 2006 der Skatepark „Lingnerallee“ realisiert."
(Komplette Übersicht zu diesem Wettbewerb als PDF auf: www.dresden.de)


Unter anderem beteiligt sich das Atelier Loidl, Landschaftsarchitekten und Stadtplaner mit Jörg Wessendorf, Architekt. Ihr Konzept "Lingner Park Stadt" sieht ebenfalls eine Verlängerung der Herkulesallee in der Weitergestaltung des 13 ha umfassenden Gebietes vor (unter Beibehaltung der Robotron-Gebäude).


2016 Wettbewerb Lingnerstadt: Gewinner Peter Kulka



Die Flächen des ehemaligen Robotrongeländes gehören der Stadt. Beim Wettbewerb Lingnerstadt gewinnt das Dresden-Kölner Büro Peter Kulka. Seine neue prägnante Raumkante verkleinert den Raum etwas. Der einstige als zu weit empfundene Stadtraum soll mit neuer Wohnbebauung in seiner Allee-Wirkung etwas zusammen rücken. Auch neue Baumpflanzungen sollen den Allee-Charakter stärken.



Modell Peter Kulka Lingnerstadt. Foto: Architekturbüro Peter Kulka
Weiterentwicklung der Quartiere an der Herkulesallee und zum Blüherpark 2016
Weitere Infos: www.peterkulka.de/lingner-altstadtgaerten


Kulkas Entwurf unterscheidet sich vom Loidl-Entwurf, dass Kulka die alte, diagonale Lingnerallee bis an die vorhandene Baumreihe der einstigen Johann-Georgen-Allee bebauen will und sich mit dieser Unterbrechung gegen die lineare Ost-West-Achse vom Rathaus bis zur Herkulesallee stemmt. Seine Idee setzt sich erst einmal nicht durch.
Peter Kulka stirbt am 5. Februar 2024 in Dresden, andere Architekten übernehmen die Planung.


Stadtmodell neuer Stadtraum Lingnerallee und Herkulesallee
Stadtmodell Dresden: neu entstehende, durchgehende Achse vom Großen Garten bis zum Rathaus mit Verlängerung der Herkulesallee mit Kastanienbäumen bis zum Ring. Das Stadtmodell im WTC ist derzeit 2024 in Überarbeitung mit dem aktuellen Planungsstand.
Foto: März 2017 Thomas Kantschew, Vergrößerung



2018 Wettbewerb Herkulesallee



Gewinner des Wettbewerbes Herkulesallee 2018: Knoche Architekten. Foto: Übersicht über das Werkstattverfahren auf: www.dresden.de

In der Folgezeit entbrennt um das Grundstück genau an der Ecke Blüherstraße, „neue“ Lingnerallee / ehemaliger Johann-Georgen-Allee ein Streit, da der Grundstückseigentümer sein Grundstück mit Gewinn verwerten will. Nach Jahren von Diskussionen wird eine Lösung gefunden. Im Wettbewerb um die Bebauung an der verlängerten Herkulesallee 2018 unter Baubürgermeister Raoul Schmidt-Lamontain gewinnt das Büro Knoche Architekten BDA aus Leipzig mit einem Kompromiss.
Anlass für eine neue Planung war u. a. die fehlende städtebauliche Lösung am Schnittpunkt zwischen Lingner- und Herkulesallee. Im Ergebnis wird die Herkulesallee bis zum Schnittpunkt der „Alten“ und „Neuen“, also verlängerten Lingnerallee durchgezogen. Genau an der Schnittstelle soll doch ein öffentliches Gebäude errichtet werden, evtl. ein Café, welches genau zwischen den beiden Achsen liegen und einen deutlichen Grünbereich aufweisen wird. (Im Gespräch war damals auch eine Rekonstruktion des Eck-Gründerzeitgebäudes durch den Bauunternehmer Frank Wiesner, siehe SZ 12.09.2019.)
Nördlich der verlängerten Herkulesallee soll wiederum Wohnungsbau durch das kommunale Wohnungsbauunternehmen WiD entstehen. Am Standort des 1937 geplanten gigantischen Sächsischen NS-Gauhauses werden künftig zwei Schulen (Grund- und Oberschule) für das neue Wohnquartier der Lingnerstadt und angrenzende Gebiete entstehen.

Der verbliebene Rest der ehemalige Johann-Georgen-Allee (Lingnerallee) soll laut denkmalpflegerischer Zielstellung des Landesamtes für Kultur und Denkmalschutz auf jeden Fall erhalten bleiben.
Die Stadt Dresden schreibt im Dezember 2018 auf ihrer Webseite zu diesem Wettbewerb: „Das Dreieck zwischen Lingnerallee, Herkulesallee und Blüherstraße erfährt an der Stelle der früheren Blockecke und als Abschluss des Rasenbandes der Herkulesallee eine wohl überlegte Akzentuierung durch ein Cafe´ mit Außensitzplätzen. Die Blickachse zum Rathausturm bleibt erhalten.“ (29)


Diagonale historische Lingnerallee (ehemals Johann-Georgen-Allee)
Die diagonale, historische Lingnerallee (ehemals Johann-Georgen-Allee) mit Mittelstreifen, altem Baumbestand und teilweise originalen Bordsteinkanten durchschneidet schräg die "neue" Lingneralle/ Herkulesallee. In der Mitte Sichtachse zum Rathausturm. Foto: Thomas Kantschew Juni 2024, Vergrößerung


Dass diese historische Lingnerallee von 1889 hier weiterhin die nun durchgehend entstehende West-Ost-Achse schräg kreuzt und damit als erhaltenswertes geschichtliches Relikt eine gewisse ostentative Beharrlichkeit an den Tag legt, ist begrüßenswert. 


  29)  aus: Werkstattverfahren Herkulesallee 2018. Gesamter Text auf: www.dresden.de




2021 Neuer Investor: Gateway Real Estate AG (Berlin)




Visualisierung "Lingnergärten". Foto: Immovation AG 2016


Die Immovation-AG-Unternehmensgruppe hatte bereits im November 2014 das Robotron-Areal, eine Fläche von ca. 98.000 Quadratmetern, erworben. Damit stieß die Stadt Dresden städtischen Grundbesitz zu einem lukrativen Preis ab, den sie in der Nachfolge des Wiederaufbaugesetzes der DDR von 1950 über die Enteignung von Grundstücken als „Volkseigentum“ in die Hände bekam.

2021 verkauft die Kasseler Firma Immovation den Grundbesitz an die Gateway Real Estate AG, die nun gemeinsam mit dem Architekturbüro Nokera aus Leipzig die weitere Entwicklung der wertvollen innerstädtischen Fläche forcierte.
Infos zu Nukera auch auf: www.baunetz-architekten.de

Geplant ist am neuen „Stadtquartier Blüherpark“, wie das Projekt jetzt heißt, eine kleinteilige Bebauung in Holzhybridbauweise mit unterschiedlichen Fassaden. Zum öffentlichen Platzraum hin werden es sieben Stockwerken sein, die in ihrer Gesamthöhe relativ hoch ausfallen werden. Visualisierung auf tag24



Bauschild Stadtquartier am Blüherpark vom Juni 2024. Foto: Thomas Kantschew


Das Robotron-Atrium II (Lingnerallee 3) wird die kommenden 10 Jahre nicht abgerissen, die Stadt kaufte 2024 das Grundstück zurück, weil in diesem Gebäude mit vorhandener grauer Energie eine Menge Funktionen untergebracht werden können. Das Gebäude erhält keinen neuen „Look“, sondern bleibt mit seinen markanten Formbausteinen als charakteristische Fassade der Ostmoderne (erst einmal) erhalten. Dieses historische Robotron-Quartier wird damit vorläufig Teil des neuen Ost-West-Fußgängerbereiches und damit jener Achse vom Rathaus zur Herkulesallee.



2024 - Planungsänderung: Blockrand an der alten Lingnerallee


Die ursprünglich anvisierte durchgehende Ost-West-Achse wird in einer  Planungsänderung des Dresdner Amtes für Stadtplanung und Mobilität unterbrochen. Auf dem kleinen Dreieck zwischen Lingnerallee, Blüherstraße und verlängerter Herkulesallee soll nun doch kein Café entstehen, sondern die ehemaligen Parzellen an der alten Johann-Georgen-Allee (alte Lingnerallee) sollen mit Wohnungsbau wieder aufgenommen werden. Im Bebauungsplan Nr. 389 B heißt es im Punkt 4 "Städtebauliches Konzept" in einer Fassung vom 05. Februar 2024:

"Das städtebauliche Konzept orientiert sich an der ursprünglichen Parzellenstruktur im Plangebiet, entsprechend wird die vorgesehene Wohnbebauung mit zwei Blockrändern bis nahe an die Lingnerallee heranzuführt.
Mit der geplanten Raumkante zur Lingnerallee wird die historische Bauflucht aufgenommen. Es werden zwei weitgehend geschlossene Quartiere mit ruhigen begrünten Innenhöfen ausgebildet. Ziel ist die Entwicklung einer kleinteiligen, parzellierten Bebauungsstruktur aus differenziert gestalteten Einzelbausteinen
."  (30)

Für unseren Untersuchungsgegenstand zweier wichtiger Achsen, die sich an einem bestimmten Punkt kreuzen, bedeutet diese überraschende Wende ein besonderes städtebauliches Ausrufezeichen. Die Sichtachse zum Rathausturm wird unterbrochen, die Achse selbst erfährt eine deutliche Zäsur, resultierend aus retrospektiven Erwägungen.
Die im Flächennutzungsplan einst als durchgängige Grünzone deklarierte Fläche soll nun im räumlichen Geltungsbereich Wohnquartier werden:

Flächennutzungsplan der Landeshauptstadt Dresden (Themenstadtplan - Ausschnitt)
überlagert mit Kennzeichnung des räumlichen Geltungsbereiches des Bebauungsplanes Nr. 389 B

  30) Bebauungsplan Nr. 389 B, Dresden-Altstadt I Nr. 45. Stadtquartier am Blüherpark-Mitte, Vorentwurf zur frühzeitigen Beteiligung, Fassung vom
5. Februar 2024. gez. i.V. Heckmann, Matthias Lerm (Amtsleiter), Vollständiger Text auf:  www.dresden.de (PDF)

Das gesamte behandelte Gebiet von Pirnaischer Vorstadt und Seevorstadt Ost (hier im Bild) gehört zur Gemarkung "Altstadt I" und nicht mehr zum "Zentralen Bezirk".

Eine der Ursachen für die Absage einer durchgehenden öffentlichen Grünachse war das Insistieren des Dresdner Bauausschusses, der 2019 mehrheitlich beschlossen hatte, dass auf dieser Fläche die alten Parzellen (auf Druck der Grundstücksbesitzer) wieder bebaut werden sollen. Infos zum Ausschuss für Stadtentwicklung, Bau, Verkehr und Liegenschaften 2019 - 2024



2024 - Robotron Kantine


Die Robotron-Kantine, Teil der erworbenen Investorenfläche, wird Jahre lang zur Disposition gestellt. Erst 2024 gelingt nach einem jahrelangen Ringen durch verschiedene Akteure, allen voran das Netzwerk Ostmodern, der verbindliche Erhalt der einstigen Mitarbeiter-Kantine. Es soll hier das Kunsthaus Dresden einziehen, ein Zentrum für zeitgenössische Kunst, welches sich seit Jahrzehnten in einem versteckt liegenden Gebäude in der Neustadt befindet. Nach der anstehenden Sanierung der Robotronkantine könnte dann das Kunsthaus dem anliegenden Wohnquartier und dem Hygiene-Museum eine wichtige kulturelle Ergänzung sein. Es wird für Belebung in diesem Areal sorgen und für die Stadt Dresden insgesamt ein weiterer Kraftmotor sein.

Weitere Infos auf: www.robotron-kantine.de



2027- 28 - Freilegung Kaizbach



Gestaltungsplan zur Machbarkeitsstudie Offenlegung und naturnaher Gewässerausbau des Kaitzbaches. Freiraumplan: Rehwaldt Landschaftsarchitekten (Dresden)
Auftraggeber: Stadt Dresden: 02.06.2023 (Plan: Ausschnitt, auch mit neuer Bebauungskante an der diagonalen Lingerallee)

Im Jahr 2023 wird eine Freilegung des bisher unterirdisch fließenden Kaitzbaches geplant. Im Bereich "neuer" Lingnerallee soll der Bach nun entlang eines renaturierten, tiefer gelegten Flussbettes offen entlang fließen. Dabei werden den beabsichtigten Alleencharakter großkronige Laubbäume stärken. Das ambitionierte Projekt könnte in den Jahren 2027 bis 2028 umgesetzt werden. Nähere Informationen in der Pressemitteilung vom 06. Mai 2024. Stadtflaneure, Fahrradfahrer, Skater, künftige Anwohner, Familien,  Kunstschaffende, Büroarbeitende und Touristen - eine Vielzahl von Nutzern wird künftig diesen neuen Stadtraum auf vielfältige Weise nutzen. (31)



Visualisierung offengelegter Kaitzbach: Rehwaldt-Landschaftsarchitekten.
Sichtachse zum Rathaus (im Hintergrund: Rathausturm)


  31) Vgl. Forschungsprojekt: Öffentlicher Raum im Spannungsfeld vielfältiger Anforderungen, Juli 2023, Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR). www.bbsr.bund.de



2025 - Wettbewerb Nord-Süd-Verkehrszug



Studentenworkshop TU Dresden, Fachbereich Urbanismus "Think Tank Stadtraum St. Petersburger Straße" (Beispiel: Team rot). Foto: Till Schuster 2024. Infos: www.zfbk.de



Hoffnung machen ebenfalls die Initiativen für einen neuen Umgang mit dem Nord-Süd-Verkehrszug St. Petersburger Straße, die in Zukunft auch in diesem Bereich Lingnerallee Veränderungen schaffen könnten. Ein wirklich anregender Studenten-Workshop der TU Dresden 2024 unter Prof. Melanie Humann, Inhaberin der Professur Urbanismus und Entwerfen, gibt kräftige Impulse. 2025 soll es einen internationalen Wettbewerb und weitere Workshops geben, so Stephan Kühn, Bürgermeister / Beigeordneter für Stadtentwicklung, Bau, Verkehr in Dresden. Die Zukunft ist offen: über Jahrzehnte zu wenig genutzte öffentliche Räume geraten mit dem Umbau des Gebietes östlich vom Rathaus in den Fokus. Ein visionär neuer Zugriff auf die Stadt zerschneidende Nord-Süd-Verkehrstrasse, als überholtes Moderne-Konzept der 1960er Jahre, könnte neue Entwicklungschancen für die Stadt im 21. Jahrhundert bringen.


Fazit

Gegenwart: Zwei Linien

An der Schnittstelle der alten diagonalen Lingnerallee (früher Johann-Georgen-Allee) und der „neuen“ Lingnerallee entlang der Robotron-Kantine und dem Bürohaus Atrium II kulminieren Vergangenheit und Zukunft. In der Mitte des breiten Grünstreifens lädt schon seit Jahren der Skaterpark zum Verweilen ein. Zwei städtebaulich dominante Linien stoßen an dieser Stelle aufeinander und erzeugen Reibung. Auf der einen diagonalen Linie der allseits beliebte „Lingnermarkt“ als regionaler Wochenmarkt und auf der fast waagerechten Linie die Vergangenheit vom DDR-Robotron-Gelände, aber auch die dunklen langen Schatten der NS-Gauforumsplanungen und der konzipierten Aufmarsch-Achse. Diese Linie geht über in die Herkulesallee, dem Gelände der II. Internationalen Hygiene-Ausstellung von 1930 mit positiven Impulsen weit über die Grenzen von Europa hinaus.

Diesen vielschichtigen Vergangenheiten wird in Zukunft die Lingnerstadt – u.a. geplant von Peter Kulka und Nokera – eine neue Zeitschicht hinzufügen. Das geplante Wohnviertel in meist kleinteiliger Bebauung wird mit einer geraden Raumkante an die „neue“ Lingnerallee des alten Robotron-Geländes angrenzen. Gekreuzt wird sie von der „Carusstraße“ werden, die es hier bis 1970 gegeben hatte und die nun wieder den Namen des berühmten sächsischen Malers und Mediziners erhalten wird. Mögen bestehende und künftige Bauten hier an diesem öffentlichen Platz mit der Skateranlage in der Platzmitte und mit freiem Blick auf das Dresdner Rathaus einen vielfältig lebenswerten Raum bilden, der sich seiner Vergangenheit bewusst ist. Als neue wichtige Ost-West-Stadtentwicklungslinie bietet die Verbindung von der Altstadt zum Großen Garten jede Menge Zukunftspotential.



zum Teil 1: Entwicklungen von 1889 - 1945

zum Teil 2: Entwicklungen von 1945 - 1989