Lingnerallee - Herkulesallee


Geschichte eines öffentlichen Raumes. Städtebau und Politik zweier Achsen im Dresdner Zentrum

Text von Thomas Kantschew (08. Juli 2024)
Teil 1  (1889 - 1945) Teil 2  (1945 - 1989) Teil 3  (1990 bis Zukunft)

Blick vom Rathausturm nach Osten. Foto: Amt für Stadtplanung und Mobilität Dresden, 1864906, Steffen Braumann, 02.05.2007, Kennzeichnung zweier Achsen 2024: T.Kantschew. Blau: Johann-Georgen-Allee (seit 1947 Lingnerallee), Rot: Verlängerung Lingnerallee, im Hintergrund: Herkulesallee.


Der öffentliche Raum am ehemaligen Robotronareal, fast mitten im Dresdner Zentrum gelegen, erweckt durch die bevorstehenden Baumaßnahmen der Lingner-Stadt das allgemeine Interesse. Es entsteht hier das gegenwärtig größte städtebauliche  Entwicklungsprojekt in Dresden.
Derzeit ist etwa die Hälfte der DDR-Robotron-Gebäude abgerissen, die entstandene Brache wird demnächst mit Wohnungen bebaut. Seit etwa dem Jahr 2000 wird der autofreie Fußgängerbereich im Dresdner Stadtplan als „Lingnerallee“ angegeben. In der Verlängerung geht er in die Herkulesallee am Gelände der „Cockerwiese“ über, welche bis zum Großen Garten und darüber hinaus führt.


Gegenwart: Robotronareal mit Skateranlage und Blick zum Rathausturm – Foto: Thomas Kantschew, Juni 2024

Diese grün geprägte Ost-West-Achse mit künftig prägnanter Städtebau-Figuration gibt einige Rätsel auf. Wie hat sich dieser urbane Stadtraum aus der Geschichte des 20. Jahrhunderts entwickelt? Warum wurde der vorher unbenannte Freiraum etwa um die Jahrhundertwende im Jahr 2000 der diagonal verlaufenen alten Lingnerallee (vor 1947 Johann-Georgen-Allee) angegliedert und ebenso in „Lingnerallee“ benannt? Wie wird sich diese markante neue Achse in den nächsten 10 Jahren weiter entwickeln?

Der folgende Artikel soll in einer chronologischen Folge klären, wie dieser Freiraum beim ehemaligen Robotron-Gelände entstanden ist, wie er sich aus Alleen, Sichtachsen, „Prachtstaßen“, Fußgängerzonen, aus Wettbewerben und dem Ringen um Raumkanten zur quasi „neuen“ Lingnerallee heraus gebildet hat, die in Zukunft das städtebauliche  Kernstück der Lingnerstadt bilden wird.

Insbesondere interessieren die Planungen zum nationalsozialistischen Gauforum und deren Aufmarschachse 1934/ 1937, die letztlich Ursprung dieses heutigen Stadtraumes sind.


1889 - Johann-Georgen-Allee


Ein wichtiges Jahr für die Herausbildung dieses Stadtraumes war 1889. Dresden war Hauptstadt des Königreichs Sachsen unter König Albert (Regierungszeit: 1873–1902).
In dieser Gründerzeit entwickelt sich Dresden rasant. Neue Straßen und Straßendurchbrüche entstehen mit z.T. voluminösen Verwaltungs- und Bürobauten, u.a. am Straßendurchbruch König-Johann-Straße. Wenn von der heutigen Lingnerallee die Rede ist, dann ist in erster Linie die „Johann-Georgen-Allee“ gemeint, die sich von der Johannes Straße am Ring bis zum westlichen Ende der Hauptallee des Großen Gartens erstreckte. Dieser repräsentative neue Boulevard mit Straßenbahntrasse ist nach Niederlegung der abschnürenden Festungswerke in der Pirnaischen Vorstadt zuerst ab 1861 als Johannis-Platz entstanden. 1889, im Jahr des 800-jährigen Wettin-Jubiläums, wurde dieser Straßenzug dann verlängert bis zur mittleren Hauptallee des Großen Gartens. Benannt ist die Allee nach dem sächsischen Kurfürsten Johann Georg II.(1613-1680). (1)

Der großstädtisch elegante Wohn-Boulevard mit breitkronigen Straßenbäumen auf dem Mittelstreifen war eine der wenigen städtebaulich neuen Gründerzeitstraßen, die nach Pariser, Wiener oder Berliner Vorbild in Dresden entstanden – mit dem modernsten Wohnkomfort der Zeit.
Die repräsentative Allee samt Bänken, breiten Flanierwegen und reich geschmückten Fassadenprofilen wurde als Prachtstraße bezeichnet. Allerdings war sie keine Ausfallstraße, sondern diente lediglich eines kurzen Verbindungsweges zum Großen Garten. Bereits der enge Durchlass am Beginn des Rings ermöglichte keine wirklich belastbare Verkehrsentwicklung.

Die Ringstraßen um die Innenstadt (Moritz-, Maximilians-, Friedrichs- und Johannes-Allee) wurden ab 1886 aus den vorherigen schmaleren Alleen verbreitert, siehe Stadtplan Dresden 1886. Es zeigt sich allerdings bald nach der Jahrhundertwende 1900, dass sie wiederum zu schmal für den wachsenden dynamischen Großstadtverkehr am Beginn des 20. Jahrhunderts sein werden. (2)

Wenig später folgte der Bau des ausgedehnten Rathauskomplexes mit 100 Meter hohem Turm, ein stolzes Zeichen der Bürgerschaft und nach Fertigstellung 1910 dann der Rathaus-Platz.


  1)  Johann Georgen-Allee. In: Adolf Hantzsch: Namenbuch der Straßen und Plätze Dresdens, Dresden 1905.   Es handelt sich bei der Straßenbenennung 1889 wohl um ein Missverständnis, denn die Anlage eines großen höfischen Gartens erfolgte von seinem Sohn Johann Georg III. (1647 - 1691), der die Anlage eines Großen Gartens weit vor den Toren der Stadt 1676 in Auftrag gab..

2Ein wesentlicher Grund liegt zurück im 18. Jahrhundert, als der Sächsische Kurfürst Friedrich August III. seit 1748 Flächen auf dem Altstädter Festungswall verschenkt hatte und diese dann für die künftige Entwicklung nicht mehr zur Verfügung standen. Zusätzlich musste nach den Napoleonischen Kriegen 1815, als die Anlage eines breiten Boulevardrings anstatt der Festung diskutiert wurde, stark gespart werden. Die Entschädigungen für den Kauf der nun privaten Grundstücke hätten die Kasse zu stark belastet. Siehe: Thomas Kantschew: Städtebau im 19. Jahrhundert: https://das-neue-dresden.de/Staedtebau-Dresden/garten.html



1910 - Rathaus-Platz

Der zeitgleich entstandene Rathaus-Vorplatz wirkte in seinen Ausmaßen überschaubar, gemessen am monumentalen Gebäudevolumen des Neuen Rathauses. Vor allem: die eingeschobenen Bürgerhäuser zwischen Maximilian-Ring und Johannes Straße sind ein Hindernis zur Anlage einer großzügigen Stadtplanung in der wachsenden Großstadt Dresden.

Foto auf: www.deutschefotothek.de - Neues Rathaus und Umgebung Luftbild 1925

Zwischen den verschiedenen Verkehrsmitteln kämpften sich mehrere Straßenbahnlinien und der Verkehr ist oft angespannt. Die zu engen Verkehrsverhältnisse mit mangelnden Parkplätzen sind bereits unter Stadtbaurat Hans Erlwein ein Ärgernis, verstärkt aber in den 1920er Jahren im Stadtplanungsamt unter Paul Wolf. Einen großflächigen Abriss verhindern die bürgerlichen Gesetze in der Weimarer Zeit, wohl auch hohe Entschädigungssummern, die für den Ankauf der Grundstücke hätten gezahlt werden müssen.


1930 -  II. Internationale Hygiene- Ausstellung in Dresden


Es wird von der Mittelachse des Großen Gartens eine Erweiterung zum neuen symmetrischen Hygiene-Museum gezogen. Diese deutliche Achsenbildung zum monumentalen Hygiene-Museum am Endpunkt der Achse soll die Bedeutung der Institution stärken. Bereits 1930 kommt es also zu einer dauerhaft städtebaulich neuen Linie.
Sie setzt einen kräftigen Akzent neben der schräg verlaufenden Johann-Georgen-Allee.
Die Leitung für den Gesamtaufbau des Ausstellungsgeländes hat Stadtbaurat Paul Wolf inne. Mit einer Ausnahmegenehmigung erreicht er, dass die Lingner Stiftung (1916-1941) und die Stadt Dresden gerade hier im ehemaligen englischen Landschaftsgarten des zweitgeborenen Wettiner Prinzen bauen darf (und nicht, wie ursprünglich vorgesehen, hinter dem Zwingerteich im Speicherviertel). Der Prinz wie das gesamte Wettiner Königshaus sind bereits seit 1918 entmachtet, das Grundstück samt Palais und Garten 1926 von der Stadt Dresden erworben. (3)

Das Ausstellungsgelände orientiert sich in seinem Gesamtaufbau mehrheitlich an den rechten Winkeln zur Lennéstraße und dem Hygiene-Museum, gebaut von Prof. Wilhelm Kreis. Die diagonale verlaufende Johann-Georgen-Allee fällt aus dem orthogonalen Raster heraus. (4)

In der Verlängerung der Herkulesallee vom Großen Garten, also unserem Untersuchungsgebiet, entsteht allerdings auch ein anderer öffentlicher Raum:
der Platz der Nationen, an dem verschiedene Länder ihre temporären Ausstellungshallen errichten. Zum Staatenhaus (u.a. Hygiene Organisation des Völkerbundes) gibt es einen Staatenhausturm, beide wiederum von Wilhelm Kreis.



Generalbebauungsplan II. Internationale Hyiene-Ausstellung Dresden 1930
von Paul Wolf mit Johann-Georgen-Allee und Platz der Nationen


Siehe: Foto Hygiene-Museum und Johann-Georgen-Allee. Am Hygienemuseum vorbeiziehende Teilnehmer zur Kundgebung. Luftbild am 1. Mai 1933: www.deutschefotothek.de


  3)  Eine neue Zeit ist angebrochen. Die II. Internationale Hygiene Ausstellung findet auf den freien Güntzwiesen und im Blüherpark statt, weil das Ausstellungsgelände schon dort ist, der große Garten als grüne Lunge daneben sowie die vorhandenen Sportflächen mit Stadion und Schwimmbad die Unterstützung der Volksgesundheit auf ideale Weise ergänzen. Hintergründe u.a.: Sabine Schulte: Das Deutsche Hygiene-Museum in Dresden von Wilhelm Kreis. Biographie eines Museums der Weimarer Republik. Diss. Bonn 2001.

In das leerstehende Palais Prinz Johann Georg selbst  zog die Geschäftsstelle des Allgemeinen Deutschen Automobilclubs (ADAC) Filiale Freistaat Sachsen (siehe Adressbuch Dresden 1930).

4)
  Bereits zur I. Internationalen Hygiene-Ausstellung 1911 sind auf dem weiten Gelände an dieser Verlängerung der Mittelachse des Großen Gartens Gebäude gruppiert: in der Halle 55 sind untergebracht: Alkoholismus, „Rassen-Hygiene“, Kleidung, Körperpflege, Spiele, Sport, Kinder und Jugendliche, in der Halle 56 Nahrungs- und Genussmittel. Lageplan: www.dhm.de, Gesamtplan: Lossow und Kühne



 
1933


Adolf Hitler wird am 30. Januar Reichskanzler und übernimmt die Macht als neuer „Führer“. Deutschland wird in kürzester Zeit komplett umgestaltet. Bis 1934 operieren noch die Landesverwaltungen. Doch die seit 1924 bestehenden NSDAP-Gaue übernehmen zunehmend fast alle administrative Aufgaben. Die Länder werden im Gleichschaltungsgesetz in vielen Bereichen der meisten Kompetenzen beschnitten.

Die Stadt Plauen ist von 1924 bis 1933 sächsische Gauhauptstadt unter dem dortigen Unternehmer und Gauleiter Martin Mutschmann. 1933 wechselt die Gauhauptstadt nach Dresden, Mutschmann zieht mit der sächsischen Gauleitung (samt diverser Unterabteilungen wie z.B. das Propaganda-Amt) nach einem Übergangsquartier ab 1936 in das Gebäude Bürgerwiese 24, ganz in der Nähe des Hygiene-Museums. Bald wird klar, dass Mutschmann ein neues, größeres Gebäude für die sächsische Gau- und Kreisverwaltung bauen lassen will, da im Zuge der „Machtergreifung“ auch baulich immer mehr Bürohäuser zur alles durchdringenden Einflussnahme benötigt werden.
Die Stadt Dresden unter Stadtbaurat Paul Wolf und dem neuen Oberbürgermeister Ernst Zörner (beide NSDAP) stellt 1934 das weitestgehend freie, unbebaute Gelände östlich des Hygiene-Museums, die sogenannten Güntzwiesen zur Verfügung. Damit plant Dresden neben Weimar als einer der ersten Städte im Deutschen Reich ein hochpolitisches „Gauforum“.


1934 / 35 - Wettbewerb Gauforum


Am 01. Mai 1933 ködern Nationalsozialisten die Arbeiterschaft u.a. mit der Schaffung eines offiziellen Feiertages. In Dresden findet er auf dem Theaterplatz statt, der bereits seit März 1933 in Adolf-Hitler-Platz umbenannt wurde. Es ist ein großer Andrang zu verzeichnen, so dass die politische Führung in Dresden nach einen noch größeren Versammlungsplatz für die anzustrebende neue „Bewegung“ drängt. Zudem fehlt es an kälteren Tagen an einer größeren Versammlungshalle, wie sie z.B. in Berlin mit dem Sportpalast für 10 000 Menschen seit 1910 besteht (wo Hitler und Gauleiter Dr. Goebbels sprechen) oder in Magdeburg mit der dortigen Stadthalle von 1927 (100 x 50 Meter Ausmaß) oder mit der runden Jahrhunderthalle in Breslau, gebaut 1911 bis 1913, die unter Verwendung von Stehplätzen bis zu 20 000 Besucher den Zugang ermöglicht.
In Dresden sollen es allerdings dann 30 000 Sachsen sein, die sich in einer „Halle der Dreißigtausend“ versammeln können. Gedacht ist an eine „Stadthalle“ oder an eine „Kongresshalle“ bzw. „Halle der großen Volksversammlungen“, später wird man diese Halle als „Sachsenhalle“ bezeichnen. Dazu soll ein Aufmarschplatz kommen und – auf Anregung Hitlers vom Juni 1934 ein „Ehrenmal für die Gefallenen des Weltkrieges und der Bewegung“. (5)
Der Bau der riesigen Halle stand im Wettbewerb im Vordergrund, sie wird in einer späteren Entwurfsphase noch erweitert zu einer Halle der "Halle der Vierzigtausend" mit den Ausmaßen 200 x 130 Meter. Aber nicht nur für NSDAP-Mitglieder und alle Unterorganisationen sind Veranstaltungen in der Halle geplant, sondern im Prinzip für alle, die die NS-Diktatur zur „Volksgemeinschaft“ zählt.
Gegenüber der Sachsenhalle ordnen viele der Wettbewerbsteilnehmer das neue Sächsische Gau- und Kreishaus an. (6)


  5)  Gauforum. Der Dresdner Wettbewerb. Von: Baudirektor Hirschmann, In: Deutsche Bauzeitung DBZ, Heft 25, 19. Juni 1935.
1933 wurde noch die von Paul Wolf 1930 errichtete Krankenhaus-Halle neben dem Sportstadion als „interimistische Stadthalle“ genutzt, erwies sich jedoch bald als zu klein.
Zu diesem Zeitpunkt gab es in Dresden keine größere Versammlungshalle.

6)  Ausführlich zur Entwicklung des Dresdner Gauforums: Christiane Wolf, Gauforen, Zentren der Macht. Zur nationalsozialistischen Architektur & Stadtplanung, Berlin 1999.



Achsenfrage – die „Rathaus-Achse“ entsteht: „reizvolle Lösungen“

Die „Achsenfrage“ wird von der Wettbewerbs-Jury (u.a. Gauleiter Mutschmann, Gaupropagandaleiter Heinrich Salzmann, Stadtbaurat Paul Wolf, Baudirektor Carl Hirschmann) (7) lebhaft diskutiert. Während die meisten Wettbewerbsteilnehmer die Mittelachse zum Hygiene-Museum als dominierende Achse des Gauforums planen, schlagen einige Teilnehmer eine neue direkte und gerade Achse im rechten Winkel des Hygiene-Museums zum Rathaus vor, so z.B. der Beitrag von Hans Richter (Dresden) (8) mit einer „Rathausachse“, aber auch der Beitrag von Hans Hopp/ Lucas aus Königsberg (engste Auswahl). Wettbewerbsteilnehmer Architekt Adolf Muesmann aus Dresden schrieb in der Auswertung zum Gauforum-Wettbewerb 1934: dieser bringe „reizvolle Lösungen, wie Durchführung einer Verbindung des neuen Platzes mit dem Rathausplatz“. (9)



Hans Richter mit seiner „Rathausachse“ -  Wettbewerbsbeitrag (fünfter Ankauf 500 RM)
aus: Deutsche Bauzeitung DBZ, Heft 25, 19. Juni 1935, Vergrößerung


Städtebauliche Achsen sind in den Diktaturen der 1930er Jahren weltweit, besonders aber in Hitler-Deutschland beliebt. Die berüchtigste Achse entwirft Albert Speer bereits 1935 in Berlin (veröffentlicht 1937) mit der Nord-Süd-Achse. (10)


  7)   Zur Jury gehören auch die NS-Architekten Oswald Bieber und Clemens Klotz.

8)  
Hans Richter, ein dezidierter Architekt der Moderne kennt das Areal gut. 1930 hat er für die II. Internationale Hygiene-Ausstellung u.a. die große und langgestreckte „Halle der Leibesübungen“ westlich des Arnhold-Bades errichtet, die bis weit nach 1933 zur weiteren Nutzung stehen blieb.

9)  Gauforum Dresden. Betrachtung eines Bewerbers. Aus dem Bericht  Professor  Muesmanns, In: Deutsche Bauzeitung DBZ, Heft 25, 19. Juni 1935.

10)  Im faschistischen Rom unter Mussolini entsteht bereits 1930 - 32 zwischen Colosseum und Piazza Venezia eine neue Pracht- und Aufmarschstraße, die Via dell’Impero (heute Via dei Fori Imperiali), die mit Abbrüchen von alten Wohnhäuern verbunden ist. Infos u.a. auf:  www.future-history.eu.  In Moskau wird mit dem Sowjetpalastprojekt begonnen und dahin führenden Durchbruchachsen, für die Unmengen historischer Bausubstanz hätte abgerissen werden müssen: 1934 Baubeginn und Fortführung bis 1941, danach wegen Überfalls Deutschlands auf die Sowjetunion eingestellt.




1936 / 1937 Wilhelm Kreis

Obwohl im Wettbewerb 1934 ohne Preis wird Wilhelm Kreis nach zwei Jahren Stillstand von Hitler favorisierter Architekt und Planer für das neue Gauforum Dresden. Kreis entwirft 1937 neue Pläne.
Der repressive Charakter der neoklassizistischen Architektur soll mit seinen gewaltigen Ausmaßen und harter kantiger Ästhetik überwältigen. Kreis, der Architekt des Dresdner Hygiene-Museums, wohnt selbst schon seit Jahren in der Elbestadt. Er war 1933 sofort in die NSDAP eingetreten und stieg 1943, am Gipfel seiner Karriere, zum Präsidenten der „Reichskammer der bildenden Künste“ auf.

Die sächsische NSDAP-Gauleitung, die die Planungen nun komplett an sich gezogen hatte, überwacht mittlerweile als Auftraggeber, die weiteren Ausbaustufen des Gauforums von ihrer Dienststelle aus: Bürgerwiese 24 , keine 200 Meter entfernt vom geplanten neuen „Adolf-Hitler-Platz“. Chef ist immer noch Reichsstatthalter und Gauleiter Martin Mutschmann. Infos auf: www.gedenkplaetze.info


1938 die „Aufmarschstraße“

Aufmarschachsen dienten im Dritten Reich als klares Propagandamittel zur Manipulation. Gerade die Aufmarschachsen im NS-Städtebau sollten die politischen Überzeugungen der Parteianhänger weiter stärken, andererseits die Zögernden, die Zuschauer am Rand, die unentschiedenen Mitläufer in den Bann ziehen. Die ritualisierten Massenaufmärsche auf den Parade- und Aufmarschachsen sollten eine Art „Via triumphalis“ bilden. Steffen Krämer schreibt in seinem Aufsatz „Achsen für den Aufmarsch. Zur politischen Inszenierung des urbanen Raumes im Dritten Reich“:
Folglich ist die Achse ein politischer Raumtypus in der Stadtplanung des Dritten Reiches mit einer klar kalkulierten öffentlichen Wirkungsmacht. (…) Konstituierend hierfür waren vor allem die monumentalen Achsen als Grundformen des Raumes, in denen sich diese vorwiegend auf Außenwirkung angelegte Selbstdarstellung des Regimes öffentlichkeitswirksam entfalten konnte. Damit erlangte dieser historische Raumtypus den Status eines politischen Bedeutungsträgers im Dritten Reich. “ (11)


  11)  Steffen Krämer: Achsen für den Aufmarsch. Zur politischen Inszenierung des urbanen Raumes im Dritten Reich. In: Kunst und Politik: Jahrbuch der Guernica-Gesellschaft 11 (2009), S. 87-98. Der gesamte Text als PDF



Lageplan des Dresdner Gauforums. Konzeption: Wilhelm Kreis. Aufmarschachse zum Rathaus: Paul Wolf 1937/ 38. Aus: Die Kunst im Dritten Reich 3. 1939, Ausgabe A.



„Neue Prachtstraße“ Planung 1938-42


In Dresden benennt Wilhelm Kreis die Aufmarschachse, an die seine neuen Hygienmuseum- Erweiterungen liegen sollen, in Anlehnung der zum Abriss vorgesehenen Johann-Georg-Allee, als „Neue Prachtstraße“. Er scheint es aus Kalkül zu tun, um bei den geschichtsbewussten Dresdnern den befürchteten Missmut über die gewaltigen Abbrüche abzufedern.
Wilhelm Kreis ist in dieser Zeit viel beschäftigt, da er ab 1937 den Auftrag durch den Generalbauinspektor Albert Speer erhielt, an der Neugestaltung der Reichshauptstadt Berlin mitzuwirken. Er übernimmt das Bauprojekt „Soldatenhalle“ an der Nord-Süd-Achse sowie Planungen für die Bauten des Oberkommandos des Heeres (OKH). (12)

In Dresden laufen seine Planungen zum neuen Adolf-Hitler-Platz (Gauforum) parallel weiter, auch die Planungen für die breite neue Aufmarschachse direkt vom stark vergrößerten Rathaus-Platz zum neuen „Gauforum“ - wie mit dem Lineal gezogen quer durch die historischen Wohngebiete.
Die logistischen „Zu- und Ableitungen“ um das Dresdner Gauforum bildeten bereits im Wettbewerb 1934 im Punkt (b) „Aufmarschmöglichkeiten“ einen eigenen wichtigen Punkt.

Es scheint den Planern in erster Linie um ein fußläufiges Erreichen des Gauforums am Großen Garten zu gehen, denn größere Parkplätze für Busse und PKWs oder Hochgaragen werden in den Plänen nicht explizit als Aufgabe erwähnt. Immerhin sollen
200 000
Menschen (13) in kurzer Zeit auf den Platz gelangen.

Im Laufe der sich ändernden Planungen wird dann tatsächlich die im NS-Sinn repräsentative Zufahrts- bzw. Aufmarschstraße zum neuen politischen Zentrum verbindlich konzipiert. 1937 legt Paul Wolf noch einen Plan vor, der die Teilerhaltung der Johann-Georgen-Allee vorsieht, ein Jahr später 1938 soll sie fast komplett überbaut werden. Völlig rücksichtslos auf die vorhandene Bebauung wird dann in den überarbeiteten Planungen von Stadtbaurat Paul Wolf die seit ca. 40 Jahren bestehende Straßenführung der diagonalen Johann-Georgen-Allee durchkreuzt, d.h. fast alle Gründerzeit-Gebäude wären für diese neue Aufmarschachse als aggressiver Durchbruch abgerissen worden, aber auch mehrere Schulen, unzählige Wohnhäuser aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, kleinere Fabriken und Manufakturen und vieles mehr.

Die neue Durchbruch- und Aufmarschachse mit je zwei Baumreihen soll insgesamt 64 Meter breit werden. Sie soll 1 km lang bis zum riesigen Gauforum-Platz führen, der mit 380 Meter Länge und 200 Meter Breite kaum zu überblickende Ausmaße gehabt hätte.



Aufmarschachse zum Gauforum: Perspektive Sicht in die Achse auf das Neue Rathaus, Entwurf Stadtplanungs- und Hochbauamt Dresden 1942 – mit Siegestor am Beginn. Rechts und links Fahrspuren, in der Mitte mit Steinplatten belegter breiter Mittelstreifen für die Aufmärsche. Zeichnung 1942, Stadtplanungsamt Dresden Bildstelle


Die Zuführung zum Dresdner Gauforum hätte auch über die vorhandene Johann-Georgen-Allee führen können, aber das wäre keine passende städtebauliche Geste der neuen Machthaber gewesen. Am Beginn der jetzt geplanten triumphalen Achse sollte ein Siegestor entstehen und am Ende große Steinblöcke mit Reliefs der „Bewegung“ sowie zwei Obelisken mit Reichsadlern. Dann hätte sich hinter Kolonnaden der eigentliche Platz geöffnet, welcher den „neuen politischen Mittelpunkt der Gauhauptstadt Dresden“ gebildet hätte.
Für die in Formation marschierenden Sachsen, Männer wie Frauen, viele in Uniformen,  quasi von der alten historischen Stadt kommend, sollte die überbreite, geradlinige, neue Achse mit Symbolik aufgeladen werden.
Die Marschierenden wären ein Querschnitt durch die Gesellschaft gewesen: von der HJ, dem BDM, der nationalsozialistischen Frauenschaft, dem NS-Studentenbund, der deutschen Arbeitsfront DAF und vielen anderen Organisationen wie SA und SS (14).

Genau an der Stelle des geplanten Sächsischen Gauhauses war in der Verlängerung der Herkulesallee noch wenige Jahre zuvor während der weltoffenen Internationalen Hygieneausstellung der Platz der Nationen angeordnet mit dem Staatenhaus – ebenfalls von Wilhelm Kreis. 1937 soll da ein völkisch-nationalistisches "Forum" entstehen auf einem riesigen Aufmarschplatz mit 16 rechteckigen Flächen, auf denen sich die Versammelten nach Marschkolonnen aufgestellt hätten. Von einem wirklich "öffentlichen Raum" kann man in einer totalitären Diktatur wie die NS-Zeit im deutschen Reich kaum sprechen.

Entlang der neuen Achse sollten neben den Hygiene-Museum-Erweiterungen auch andere Behörden und Unternehmen ihre monumentalen Bauten errichten, die mit zwei Stockwerken und sehr hochgezogenen Fenstern immer noch mächtig genug in Erscheinung treten, aber die Bauten am Gauforum in der Höhe nicht überragt hätten. (15)

Die Aufmarschachse sollte aller Wahrscheinlichkeit die Stadt Dresden selbst finanzieren, nicht die NSDAP und nicht das Reich, so Christiane Wolf in „Gauforen“.


  12)  Siehe: Michael Fröhlich: Die Soldatenhalle in Hitlers Neugestaltungs- plänen der Reichshauptstadt, 24.09.2018, Text auf: www.portal-militaergeschichte.de, Abbildungen auch hier:  www.deutsche-digitale-bibliothek.de

13)  Vgl.: Reichsparteitagsgelände in Nürnberg mit der Luitpoldarena für
150 000 Menschen, gebaut ab 1933.

14)  "Zur NSDAP gehörten neben ihren Gliederungen Schutzstaffel (SS), Sturmabteilung (SA), Nationalsozialistisches Kraftfahrkorps (NSKK), Nationalsozialistisches Fliegerkorps (NSFK), Hitlerjugend (HJ) einschließlich Bund Deutscher Mädel (BDM) und Nationalsozialistische Frauenschaft (NSF) mehrere angeschlossene Verbände wie die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt (NSV) und die Deutsche Arbeitsfront (DAF) sowie betreute und überwachte Organisationen. (…)." Zitat auf: https://archiv.sachsen.de
In Dresden hatte das NSKK in der NS-Zeit das ehemalige Palais Prinz Johann Georg hinter dem Hygienemuseum in Besitz genommen (Zinzendorfstr. 4) und war u.a. für alle motorisierten Teile der Aufmärsche zuständig.
Aber auch alle anderen Beteiligten der auf Exklusion beruhenden „Volksgemeinschaft“ hätten zu bestimmten Tagen, wie 1. Mai oder Führer-Geburtstag hier zum öffentlichen Gauforum marschieren können. In Dresden gibt es viele Orte, wo jene genannten Organisationen in der NS-Zeit tatsächlich marschiert sind, so z.B. am Königsufer mit dem "Forum für nationale Kundgebungen" (jetzt Filmnächte am Elbufer), auf dem Alaunplatz, dem DSC-Sportplatz (Steyer-Stadion), der "Ilgen-Kampfbahn" und sogar auf der Vogelwiese an der Elbe.

15)  Für die Nordseite sollte die Girozentrale Sachsen und die Sächsischen Werke ihre Verwaltungsbauten errichten. Auf der Südseite: die Sachsen-Boden-Bank, die Industrie- und Handelskammer sowie die NSV. Siehe: Deutscher Baumeister 1. Jg, Heft 9. 1939, S. 20.



DHM-Erweiterungen

Die Bebauung der konzipierten Achse sah entlang des Hygiene-Museums grob neoklassizistische Erweiterungsbauten vor, die die moderneren, strahlend weißen Fassaden von 1930 komplett verdeckt hätten. Auch links vom Haupteingang wären gravierende Veränderungen vorgenommen worden: durch ein Gau-Ärztehaus südlich vom Hygiene-Museum, symmetrisch das Museum wie in einer Zange einrahmend.
Der Architekt für dieses Sächsische Gau-Ärztehaus war Fritz Naumann, der seine Pläne mit Wilhelm Kreis abstimmen musste.


Bebauungsplan um das Deutsche Hygiene Museum Dresden vom 05.März 1938. Maßstab 1:1000, Von: Architekt Fritz Naumann, "Einverstanden mit dieser Planung Dr. W. Kreis",
Ärztehaus Sachsen (rot), Hygienemuseum Erweiterungen (gelb), NSV (blau), Vergrößerung (Plan: Archiv DHM)


Nördlich vorgesehen war der längere Block für die Erweiterung des Hygiene-Museums von Kreis selbst. Direkt am Standort der späteren Robotron Kantine sollte die Zentrale des NSV an der Zinzendorfstraße/ Einmündung zur Aufmarschachse untergebracht werden. (NSV = Nationalsozialistische Volkswohlfahrt - Parteiorganisation der NSDAP, im Zuge der Gleichschaltung mit dem Verbot der Arbeiterwohlfahrt entstanden).



Modell Erweiterung Hygiene-Museum. Foto: Archiv DHM


Der wendige Architekt Wilhelm Kreis verstellte 1938 mit der geplanten Verbauung der Nordseite seine eigene Ästhetik aus der II. Internationalen Hygieneausstellung 1930 und passte sich ohne viel Skrupel dem Zeitgeschmack der Nationalsozialisten an. Seine eigene neoklassizistische Tempelfront des Hygienemuseums mit der kolossalen Kolonnade bot ja auch zahlreiche Anknüpfungen für die schwere NS-Ästhetik (16).
Sie hätte aber noch zusätzlich am Hauptbau Löwenskulpturen rechts und links auf den Pilastern erhalten (Entwurf von Edmund Moeller 1941) (17).  Die Neubauten hätten zudem rigoros fast alle Reste der historischen Parkanlage des Blüherparks am Hygiene-Museum überformt.



Grundriss Erdgeschoss Erweiterung Hygiene-Museum 5.3.1938 von Wilhelm Kreis, Foto: Archiv DHM



Gauforum ("Adolf-Hitler-Platz") mit Sachsenhalle (links nur teilweise im Bild), vergrößertem Gauhaus, Glockenturm, Hygiene-Museum-Erweiterung (dunkler eingefärbt) und mit der im Plan so bezeichneten „Aufmarschstraße“ vom Rathaus kommend. Gegenüber der DHM-Erweiterung an der Achse: Baumasse eines geplanten Verwaltungsgebäudes.
Plan: "Prof. Dr. W. Kreis - Dresden" - Datum der Zeichnung: 27. November 1940 (Änderung: 28.03.1941 Sachsenhalle), Vergrößerung. Plan: Archiv DHM Dresden


  16)  Ausführlich bei: Sabine Schulte: Das Deutsche Hygiene-Museum in Dresden von Wilhelm Kreis. Dissertation Universität Bonn, 29.09.2000.

17)  Die Löwenskulpturen waren bereits 1927 im Entwurf des DHM von Wilhelm Kreis geplant, kamen aber nicht zur Ausführung. Siehe: Broschüre zur Grundsteinlegung am 8.10.1927.



NSDAP Ortsgruppe Hans Schemm

Vor dem Hygiene-Museum wird die 1931 benannte Blüher Allee (Bernhard Blüher: Bürgermeister in Dresden von 1915-1931) am 18. März 1935 in „Hans-Schemm-Allee“ umbenannt. Schemm war NSDAP-Gauleiter der Bayerischen Ostmark (u.a. Oberfranken) und „Reichswalter des Nationalsozialistischen Lehrerbundes“ (NSLB).
Aber nicht nur die Straße vor dem Hygiene-Museum wird nach dem 1935 verstorbenen Bayern umbenannt, sondern der ganze NSDAP-Ortsgruppen-Unterkreis erhält den Namen Hans Schemm. Schon Jahre vor der Machtergreifung 1933 wurden Städte und Gemeinden in neue NSDAP-Ortsgruppen unterteilt. 1932 gab es in Sachsen bereits 780 NSDAP-Ortsgruppen.

Man vergegenwärtige sich den streng hierarchischen Aufbau: höchste regionale Organisationseinheiten der NSDAP waren die Gaue. Unterhalb der Gauebene bildeten Kreise, Ortsgruppen, darunter Zellen und Blöcke die organisatorischen Einheiten der Partei. Bis in die kleinste Nebenstraße war der gesamte Stadtraum und jeder Wohnblock und jeder Haushalt in die neue NSDAP-Organisationsstruktur durch strenge Kontrolle und Überwachung eingebunden. In der NSDAP-Ortsgruppe Hans Schemm geschieht das von der Johann-Georgen-Allee 13 aus, wo der Ortsgruppenleiter in der „Ortsgruppendienststelle“ seinen Dienstsitz hat und wo Zellenleiter u. Blockwarte ihre Berichte abgeben. (18) - Siehe: Adressebuch 1938: https://digital.slub-dresden.de

Zusätzlich gibt es das „Hans-Schemm-Haus“, Zinzendorfer Straße 2 - gleich gegenüber der NSDAP-Zentrale an der Bürgerwiese: www.altesdresden.de


NSDAP Ortsgruppe Hans Schemm - in einem Organisationsplan Kreis Dresden 1938
"Organisationsplan Kreis Dresden - Stadtortsgruppen" 1938 mit eingeteilten NSDAP-Ortsgruppen (Ausschnitt: Ortsgruppe Hans Schemm) – Gesamtplan mit allen anderen Ortsgruppen: www.deutschefotothek.de  (teilweise abweichend vom Adressbuch 1938)
Im Plan: beim Lingnerplatz die "Hans-Schemm-Allee" - Verlängerung von der Goethestraße.

Hintergründe zur Organisationsstruktur des NSDAP und speziell der Ortsgruppen siehe:
https://de.wikipedia.org


  18)  Alle 68 Dresdner NSDAP-Ortsgruppenleiter geben regelmäßig Rapport in der Gauleitung an der Bürgerwiese bzw. empfangen dort Weisungen. Eine Ortsgruppe der NSDAP bestand aus acht Zellen. Jede dieser Zellen war in vier bis acht Blocks eingeteilt. Ein Block deckte 40-60 Haushalte ab. / Zu den Aufgaben der Blockwarte: https://de.wikipedia.org/wiki/Blockleiter


Glockenturm

Am Ende der Aufmarschachse soll ein hoher Glockenturm angeordnet werden, direkt südlich von der monumentalen Sandsteinfigur „Ruhender Herkules“ von Balthasar Permoser am Westeingang zur Herkulesallee Großer Garten / Lennéstraße. Dieser auch als Wart-Turm bezeichnete 70 Meter hohe Turm soll von weitem bereits von der Altstadt erkennbar sein.


Glockengeläut zum Aufmarsch: Glockenturm und Gauhaus, direkt an der Achse gelegen

Modell Gauhaus und „Turm der Hitler-Jugend“ in: Hans Stephan: „Wilhelm Kreis. Deutsche Künstler unserer Zeit.“, 1944 S. 62-64. Andere Modellabbildungen davon:
https://digital.slub-dresden.de/werkansicht/dlf/335178/64



Herkulesallee im Großen Garten mit den zwei Herkulesfiguren (Standort des ehemals geplanten NS-Glockenturms). Blickachse zum Rathausturm über die in den 1980er Jahren verlängerte Herkulesallee. Situation: Juni 2024. Foto: Thomas Kantschew


Der vergrößerte Rathaus-Platz

Das nationalsozialistisch umstrukturierte Rathaus wäre nach den Plänen von Paul Wolf „freigestellt“ und heroisch im Stadtraum mit seinem 100 Meter hohen Turm in Szene gesetzt worden. Ein viel größerer Rathausplatz wäre vor der östlichen Rathaus-Seite geschaffen worden. Auch hierfür hätten sehr viele Gebäude dafür abgerissen werden müssen. Lediglich die Kreuzschule von 1864-66 wäre stehen geblieben, da sie nach dem Beginn des deutschen Angriffskrieges 1939 als Rathaus-Ausweichquartier vorgesehen war, falls das Rathaus durch Bomben funktionsunfähig geworden wäre.
Die geplanten Abbrüche wurden über Aufkäufe bzw. Entschädigungen oder Enteignungen im "Gesetz über die Neugestaltung deutscher Städte" vom 4. Oktober 1937 und Folgejahre geregelt.

Es sollte eine unausweichliche Linie der kommunalen NS-Rathaus-Verwaltung zum NS-Gauforum des „Gaues Sachsen“ gezogen werden mit einer breiten Blick- und Sichtachse zum monumentalen Rathausturm! Die Entfernung der beiden Türme hätte ca. 1000 Meter betragen.
Zwei administrative Zentren mit einem Ziel, die sogenannte „Volksgemeinschaft“ in Gleichschaltung rigoros auf den nationalsozialistischen Ungeist einzuschwören.
Dr. Wilhelm Külz, in der Weimarer Republik Mitglied der liberalen Deutschen Demokratischen Partei (DDP) und Reichsinnenminister, war 1931 zum Oberbürgermeister Dresdens gewählt worden. Bereits im März 1933 enthob ihn der neue NS-Reichskommissar Manfred von Killinger seines Amtes, weil er die Hakenkreuzflagge am Rathaus nicht hissen wolle und es auch ablehnte, bestimmte Mitarbeiter der Stadtverwaltung und KPD-Mandatsträger zu entlassen.

Die komplette Bebauung im inneren Ring an dieser Stelle der ehemaligen Eckbastion Jupiter zwischen Maximilian-Ring und Johannes Straße wäre abgebrochen worden, ebenso die Gründerzeitbebauung von 1890 rechts am Rathaus-Platz.

Das nationalsozialistisch völlig umstrukturierte Rathaus wäre als kompakter Bau mit dem neuen riesigen Vorplatz ganz anders in Erscheinung getreten und eben weithin sichtbar gewesen. Die geplanten Ausmaße des neuen Rathaus-Platzes hätten ca. das Dreifache des Gründerzeitplatzes von 1910 betragen.


Stadtplan Dresden 1939 und geplante neue Achsen am Ring, Rathaus-Platz, Gauforum und an einer neuen Nord-Süd-Trasse 1939 (19)
 
1) Rathaus und Rathaus-Platz
2) Hygiene-Museum (hinten, vorn und an der Nord-Seite komplett verstellt.)
3) Die Johann-Georg-Allee von 1889 wäre fast völlig verschwunden und durch die neue Achse überbaut worden.
4) Georgplatz wäre völlig verschwunden
5) Kreuzschule
6) Der martialische Umbau – allein an dieser Stelle – ließ sich weitere Abbruchgebiete offen. Das Eingrenzungsgebiet „Gauforum“ reichte bis zur Bürgerwiese.

Im Archiv des DHM existiert vom Dresdner Architekten Heinrich Koch noch eine andere Erweiterungsplanung für das Hygiene-Museum von 1941.


Lageplan 1941: Dresden. NS-Bauten. Hygiene Museum, Gauhaus, Sachsenhalle) mit einer kompletten Umschließung des Hygiene-Museums, einem quadratischen Adolf-Hitler-Platz und den gut erkennbaren geplanten Abrissen, so u.a. das komplette Palais Sekundogenitur. Die von Paul Wolf geplanten Straßendurchbrüche am Ring und zum Hauptbahnhof sind in diesem Entwurf nicht mit berücksichtigt, da im Erschließungsplan für die Innenstadt Dresden von Koch eine andere Verkehrsführung vorgesehen war.

Bisher nicht systematisch, sondern nur punktuell aufgearbeitet sind die sogenannten „Arisierungen“, also Enteignung Jüdischen Eigentums und der Grundstücke in diesem Gebiet (und der gesamten Stadt Dresden).

  19)  Plan 1939 Neugestaltung Dresdens, veröffentlicht in: Martin Mutschmann: Die städtebauliche Neugestaltung Dresdens, In: Deutscher Baumeister, Sept. 1939 (Heft 9) und Stadtplan Dresden 1939. Collage der beiden Pläne: T.Kantschew 2017.


1939

Die gigantomanischen Planungen werden im Jahr des von Hitler-Deutschland begonnenen Weltkrieges nochmal erweitert. So bekommt das nördlich vom Gauforum gelegene Gauhaus, direkt an der Aufmarschachse gelegen, einen voluminösen Erweiterungstrakt nach Norden.
Eine Grundsteinlegung des "Gauhauses" fand am am 09. März 1939 durch Gauleiter Martin Mutschmann statt (20). Mit den Arbeiten am Kellerfundament wird begonnen. Tatsächlich werden durch Räumungsarbeiten fast alle an der nördlichen Pirnaischen Straße befindlichen Villen im Verlauf des Jahres 1939 für das riesige neue Sächsische Gauhaus abgerissen, dank „tatkräftiger Förderung der Pläne seitens des Reichsstatthalters Mutschmann“,
(siehe Stadtplan Dresden 1941: www.deutschefotothek.de). So z.B. die Villa Pirnaische Straße 73, Foto.

Sämtliche Pläne, außer den Villenabrissen, wurden im II. Weltkrieg nicht umgesetzt. Allerdings wird an den Planungen noch bis 1941 weiter gearbeitet – trotz der Engpässe während des Weltkrieges. Die Straßenführung blieb erst einmal unangetastet. Im Februar 1942 fordert Albert Speer während einer Gauleitertagung in München die Gauleiter auf, sämtliche nicht kriegswichtige Bauten einzustellen, um den „totalen Krieg“ (Goebbels Januar 1943) doch noch zu gewinnen.

  20)  Über die Grundsteinlegung wird in den Dresdner Tageszeitungen berichtet, wie auch in den vorherigen Jahren über die verschiedenen Planungsstufen. Selbst im Grieben-Reiseführer 1939 werden die Gauhaus-Planungen gleich am Beginn, ausführlich erläutert. Sie sind in Dresden damals allseits bekannt.


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