Lingnerallee - Herkulesallee

Geschichte eines öffentlichen Raumes. Städtebau und Politik zweier Achsen im Dresdner Zentrum
 

Teil 2    Entwicklung von 1945 bis 1989


Teil 1    Entwicklung von 1889 bis 1945

Teil 3    Entwicklung von 1990 bis in die Zukunft


Text von Thomas Kantschew (08. Juli 2024)


1945


Hauptsächlich die Dresdner Innenstadt wird in mehreren Angriffen der Alliierten 1944 und besonders im Februar 1945 schwer bombardiert.

Nach dem 8. Mai 1945 übernimmt in der sowjetisch besetzten Zone die sowjetische Militäradministration Deutschlands (SMAD) die Macht (bzw. Josef Stalin in Moskau), unterstützt von der KPD, die sich unter Walter Ulbricht schnell wieder etabliert. Die Stadt Dresden liegt im Zentrum in Trümmern, Parteiabzeichen der NSDAP werden schnell weggeworfen.

Dokumentiert ist der noch nach 1945 vorhandene Stadtgrundriss in einem Schadensplan 1946, in dem die Zerstörungsgrade der Innenstadtgebäude mit verschiedenen Farben deutlich gemacht wurden:



Schadensplan Dresden Innenstadt (Ausschnitt: Gebiet des geplanten Gauforums) 1946
Deutsche Fotothek (schwarz: komlett zerstört, blau: schwer zerstört), kompletter Plan:
www.deutschefotothek.de - Der Plan ist nicht 100% korrekt: die Villen an der nördlichen Pirnaischen Straßen waren bereits 1939 abgerissen. (Dieser Irrtum ergibt sich aus dem verwendeten "Plan von Dresden. Blatt 1 [Altstadt, Neustadt], 1938".)


Die Ruinen der Innenstadt wurden in den Jahren nach 1945 bis Anfang der 1950er Jahre oberirdisch abgetragen. Nur wenige historische Gebäude blieben in diesem Bereich Rathausplatz/ Georgplatz erhalten, darunter das Rathaus, was ab 1953 mit der Südseite im Wiederaufbau war und das Hygienemuseum, was ebenfalls nur als „schwer zerstört“ (und nicht komplett) eingestuft wurde. Der stärkste Eindruck in dieser Zeit war eine weite Leere. Grasflächen, Brachen bis zum Horizont und eine noch ungeklärte offene Zukunft, für welche Funktionen dieses weite Citygebiet konkret genutzt werden soll. Allerdings: die alte Johann-Georgen-Allee existierte noch viele Jahre (im vorderen Teil bis 1969) als stillgelegte Straße mit ihren Bordsteinkanten weiter. (Foto 1951 Deutsche Fotothek)

Durch die starken Zerstörungen im Krieg und vor allem nach dem Abriss der Ruinen-Trümmer wurde in der Nachkriegszeit an vielen Stellen neu gedacht. 1946 in der Ausstellung „Das neue Dresden“ gibt es ganz unterschiedliche Lösungen einer Neuordnung des Stadtraumes. Sehr viele Menschen wollen mit einem hohen Grünanteil an die stadthygienischen Ansätze der 1920er anknüpfen.



Stadtmodell 1947: hier mit Wohnungsbau an der erneut aufgenommenen Ost-West-Achse vom Rathaus nach Osten. Foto: Deutsche Fotothek, Nr. 71079168.



Auch der 1945 abgesetzte Stadtbaurat Paul Wolf selbst konzipiert in der Nachkriegszeit 1949 einen vergrößerten Rathaus-Platz und wieder eine Achse vom Rathaus ausgehend nach Osten bis zum Großen Garten. Eine Bebauung der engen doppelten Ringstraße ist auf allen Plänen nicht mehr vorgesehen.


Paul Wolf mit einem Wiedaraufbauplan Dresden für die Inneren Stadtgebiete von Dresden. In: "Die Neue Stadt. Zeitschrift für die Gestaltung von Stadt und Land", Berlin, Darmstadt, Franktur Main 1/1949 - Titelcover.


1949



Planungsgrundlagen 1949 – Wieder mit Achse vom Rathaus nach Osten
Kurt W. Leucht war ebenfalls Mitverfasser der „16 Grundsätze des Städtebaus der DDR“. Diese flossen in das 1950 erlassene Wiederaufbaugesetz der DDR ein, das in Folge defacto alle Alteigentümer innerstädtischer Grundstücke enteignete.

Der am 1. Mai 1933 in die NSDAP eingetretene Pg. Kurt W. Leucht (Mitgliedsnummer 2.360.005), nunmehr leitender Chefstratege des Dresdner Wiederaufbaus in den Anfangsjahren der späten 1940er Jahre (21), arbeitete 1949 gemeinsam mit Landschafts- und Grünplaner Hans Bronder die „Planungsgrundlagen Dresden“ aus. (Leucht war am 7. Oktober 1945 zuerst in die KPD übergewechselt, 1946 SED.)
Dort wird das Gebiet zwischen Rathaus, Grunaer Straße, Bürgerwiese und Lennéstraße grün markiert, also u.a. die gesamte Fläche des späteren Robotrongeländes für "Ausstellung/ Sportanlagen" reserviert. Hier sollten in dieser Planungsphase keine Wohngebiete entstehen, stattdessen wollte man an die Ausstellungen in diesem Terrain anknüpfen und den Rest um das Arnholdbad und das Fußballstadion als Sportflächen weiter entwickeln – mit einer Überfülle an Grün. Die Johann-Georgen-Allee soll nicht wieder entstehen.

An die Geschichte dieser 13 Hektar umfassenden Freifläche der ehemaligen Pirnaischen Vorstadt mit dem adligen Palais und Park der Sekundogenitur, mit dem großbürgerlichen Vorzeigeviertel des Boulevards „Johann-Georgen-Allee“, mit den herrschaftlichen Villen des 19. Jahrhunderts und vieles andere soll nicht erinnert werden im Prozess der sozialistischen Umwälzung. Bereits im Mai 1947 wird die diagonal verlaufende Johann-Georgen-Allee nach Karl August Lingner umbenannt, der als Unternehmer die wichtigste Initialfigur der ersten Internationalen Hygieneausstellungen in Dresden 1911 war. Er verstarb bereits 1916.

  21)  Die offizielle Bezeichnung war „Leiter des Stadtplanungsamtes Dresden“. Leucht führte dieses Amt von 1946 bis 1950, ging danach nach Ost-Berlin.



1950 -51 Suche nach dem „zentralen Platz“  


1950, vor dem Start des I. Fünfjahrplanes der DDR, beginnt in Dresden die Suche nach einem zentralen Demonstrationsplatz mit ausreichend Fläche für 100 000 Menschen.
Der neue Demonstrationsplatz für „Stand- bzw. Fließdemonstrationen“ soll einer Mobilisierung „der Massen“ dienen (SED Propagandasprache). So viel wie möglich Menschen sollen öffentlichkeitswirksam auf der Straße für den Aufbau eines neuen Sozialismus nach Stalinistischen Vorbild der Sowjetunion kämpfen und gegen deren „imperialistischen Feinde“ innerhalb des begonnenen Kalten Krieges. Mehrere Varianten für den "zentralen Platz" werden 1950 untersucht, so z.B. der Theaterplatz, der Neumarkt, der Rathenauplatz, der Altmarkt und der Platz östlich des Rathauses.



"Dresden. Demonstrationsstrasse und Demonstrationsplatz im Zentrum" vom Rat der Stadt Dresden. Dezernat Bauwesen Stadtplanungsamt. 05. Oktober 1950.
Variantenuntersuchung mit einem Platz östlich des Rathauses, an dem eine Kongresshalle, ein Parteihaus, ein "Haus der Kinder" und eine Sporthalle liegen könnten. Der "Abmarschweg" hätte über die Achse geführt zu einem geplanten "Kulturpark".  Vergrößerung (in: Architektur und Städtebau der DDR. Band 1, Ostkreuz: Personen, Pläne, Perspektiven. Werner Durth; Jörn Düwel; Niels Gutschow, 2. Auflage 1999)


Dieser Standort des "demokratischen Forums" am Rathaus wird am 06. Oktober 1950 vom Ministerium der DDR in Ostberlin abgelehnt, wahrscheinlich weil die Nähe zum wenige Jahre zuvor geplanten Gauforum zu stark ist. Am 10. Mai 1951 legt sich die Dresdner Stadtverordnetenversammlung auf den Altmarkt als Ort politischer Massenveranstaltungen fest, auch auf Druck von der SED-Zentrale in Ostberlin.

23. Juli 1952 – zwangsweise Auflösung der Länder in Bezirke der DDR. Aus dem Land Sachsen (bis 1945 „Gau“ Sachsen) entstehen die drei kleineren Bezirke Dresden, Leipzig und Chemnitz - ab 1953 Karl-Marx-Stadt.

Die Architekten Herbert Schneider, Wolfgang Rauda und Wolfgang Klier nehmen 1951-52, ein Jahr vor Stalins Tod 1953, an einem Wettbewerb zur Nord-Süd-Achse teil, die schon Paul Wolf 1938 in seiner neuen Innenstadt-Konzeption vorgesehen hatte (heutige Petersburger Straße). Obwohl der Altmarkt als zentraler Platz schon feststeht, entwickeln etliche Büros noch mal ein politisches Forum auf der östlichen Seite des Rathausplatzes. Den ersten Preis gewinnt das Kollektiv Wolfgang Rauda, der in der NS-Zeit seit 1938 Regierungsbaurat war. Zusätzlich wird noch ein extra Wettbewerb für eine  Kongress- und Festhalle an der Nord-Süd-Verbindung im Sept.1952 abgehalten.



Wettbewerb Nord-Süd-Verbindung 1952 - 1. Preis: Kollektiv Wolfgang Rauda, Plan Rauda Isometrie, Quelle: IRS Erkner, Grundriss (mit Demonstrationsplatz und Kongresshalle)


Das gesamte Gebiet bis zur Lennéstraße wird bald zu einem ausgeweiteten „zentralen Bezirk“ zugerechnet (26er Ring), in dessen Mitte das Zentrum liegt (ehemaliges Altstadtgebiet bis zum Ring).



"Stadtbebauungsplan Zentrum und Zentraler Bezirk", Rat der Stadt Dresden, Stadtplanungsamt 10. Juni 1953 (Ausschnitt: Altmarkt, Rathaus, Hygienemuseum)
Immer noch ist gegenüber vom Rathaus ein vergrößerter Rathausplatz geplant an einer im Plan bezeichneten breiten "Nord-Süd-Verbindung". Vom Rathaus wieder abgehend: Achse zum Großen Garten. Foto: SUB / Deutsche Fotothek.


Am 26. September 1952 beginnt der Wettbewerb zur Bebauung des Altmarktes.
Das Gebiet östlich des Rathauses am quasi nicht mehr vorhandenen Rathaus- und Georgplatz wird lange Zeit nicht weiter entwickelt, die Zentrumsplanungen um den Altmarkt haben jetzt Priorität.

Wieder aufgebaut werden die beiden dominierenden, erhaltenen historischen Gebäude Hygiene-Museum und Rathaus. Bis 1958 entsteht durch Architekt Alexander Künzer im Hygiene-Museum ein neuer Konzert- und Kongresssaal.
Das Rathaus selbst bekommt nach einer ersten Aufbauphase in den späten 1950ern dann 1962 - 65 eine neue Ostfassade in sachlich moderner Architektursprache unter Einbeziehung vorhandener Architekturelemente des historischen Verwaltungsgebäudes.



1965 - Wettbewerb Gebiet Grunaer Straße – Südseite: Hans Schmidt


Der Rat der Stadt Dresden schreibt 1965 eine interne städtebauliche Untersuchung für das Gebiet Grunaer Straße Süd aus (also unserem Untersuchungsgebiet), an dem sich acht Büro beteiligen. Die Aufgabe: "Bebauungsvorschlag nach Vorgabe des Teilbebauungsplanes, der bestehenden Versorgungsleitungen und der Verkehrskonzeption.
Verwaltungs- und Institutsbauten mit Laboren - am Georgplatz und Pirnaischen Platz.
Sporthalle, Ausstellungshalle an vorgegebenen Standorten. Heranführen des Grüns vom Großen Garten und der Bürgerwiese."
Die Jury, bestehend u.a. aus Kurt W. Leucht (Ministerium für Bauwesen), Wolfgang Weigel (DBA), Wolfgang Hänsch (Dresdenprojekt) und Ullrich (Stadtarchitekt Dresden),  wählt folgende Kollektive aus:

1. Preis: Hans Schmidt, Konrad Lässig, Werner Rietdorf, Gerd Wessel (DBA, Institut für Städtebau und Architektur an der Deutschen Bauakademie der DDR in Ostberlin)

2. Preis: Kurt Röthig, Heinz Berndt, Hirsch (Rat der Stadt Dresden)

3. Preis: Kollektiv Büro für Städtebau Dresden
3. Preis: Kollektiv Funk (TU Dresden)

Quelle: IRS Erkner: http://ddr-planungsgeschichte.de (PDF)

Der Schweizer Architekt Hans Schmidt (1893–1972), Leiter des Dresdner Gewinner-Kollektivs, gehörte zu den führenden Architekten und Theoretikern des Neuen Bauens in der Schweiz. Archinform.net schreibt über ihn: "Wie kaum ein zweiter vertrat er eine konsequent auf die neuen Bedingungen von Technik und Wirtschaftlichkeit ausgerichtete Architektur. In frühen Jahren im radikalen, technisch und sozial orientierten Flügel der CIAM engagiert, beschäftigte ihn später vermehrt auch die Synthese von Industrialisierung und kultureller Tradition." Nach der Schweiz, der Sowjetunion folgte er 1956 einem Ruf als Hauptarchitekt an das Institut für Typung nach Ost-Berlin. 1958 wurde er zum Direktor des Instituts für Theorie und Geschichte der Baukunst an der Deutschen Bauakademie bestellt, dort 1962–69 Chefarchitekt des Inst. für Städtebau u. Architektur. 1965 dann also der 1. Preis für das spätere Robotron-Areal in Dresden !


Hans Schmidt: Städtebauliche Untersuchung zum Gebiet Grunaer Straße Süd (Robotronareal) 1965 - 1. Preis
Modell: Entwurf Städtebauliche Untersuchung zum Gebiet Grunaer Straße Süd, 1965,
1. Platz, Hans Schmidt und Team, Vergrößerung - Foto 2, Foto 3 (Quelle: IRS Erkner)


Hans Schmidt und seine Mitstreiter entwerfen zwei langgestreckte 6-geschossige Bürotrakte und ein 10-geschossiges Hochhaus am Georgplatz als quadratischen Kubus. Die "verlängerte Herkulesallee soll den Charakter einer zentralen Fußgängerachse vom Stadtzentrum zum Naherholungsgebiet Großer Garten" erhalten (aus: "Erläuterungsbericht 1.3.1965"). An dieser Achse sollen sich u.a. die zentrale Betriebsgaststätte befinden (abends auch öffentlich genutzt), eine Festwiese mit Festbühne, die Sporthalle und das Ausstellungsgelände.

Am Ende wird 1969 das zweitplatzierte Büro mit Kurt Röthig und Heinz Berndt ihren städtebaulichen Entwurf realisieren (ebenso die fünf Wohnhochhäuser in dem Areal). Schmidt war 1969 zurück in die Schweiz gezogen und der Raumbedarf für dieses Zukunftsareal war um ein Vielfaches gestiegen, so dass sich die Pläne mehrfach änderten. Was von Schmidts Konzeption blieb, war die Grünachse zum Großen Garten.



1967 / 1969 - Generalverkehrs- und Generalbebauungsplan Dresden


1967 der Moderne-Quantensprung: der Generalverkehrsplan für Dresden wird entwickelt mit den überbreiten Straßen im Zentrum. Der Georgplatz wird ein Verkehrsknoten, der einer Autobahnauffahrt ähnelt. Dem mobilisierten Verkehr wird überproportional viel Raum gegeben.
Die Straßenbahn am Ring bekommt eine eigene unabhängige Trasse. Als ob man sich in dieser Zeit von den Fesseln der Vergangenheit und der einengenden Ring-Bebauung befreien wollte, wird eine immens großzügige neue Ringstraße angelegt sowie ein leistungsfähiger Nord-Süd-Verkehrszug, die Leningrader Straße. Verfasser des Dresdner  Generalverkehrs- und Generalbebauungsplanes ist wiederum: Kurt W. Leucht (22) (Leiter der Koordinierungsgruppe), assistiert u.a. von Erwin Renner (Leiter des Entwurfsbüros + Operativgruppe Städtebau) und Architekt BDA Kurt Röthig (Zentren und gesellschaftliche Schwerpunkte).

Dieser Nord-Süd-Verkehrszug, die Leningrader Straße (nach 1990 St. Petersburger Straße) beträgt schließlich 55 m Breite, einschließlich 35 Meter Mittelstreifen. Mit Bürgersteigen, Rasenabstandsflächen und die binnen gelegene „Ringstraße“ erreicht der Gesamtraum der Magistrale mehr als 100 Meter Breite, ein übersteigertes Beispiel von Funktionstrennung, angelegt ab 1964 (23). Er zerschneidet die Stadtteile und wirkt wie eine große Barriere.



Kurt W. Leucht Städtebau Skizze 1963 Prager Straße Entwurf
Kurt W. Leucht Entwurfsskizze zur Bebauung der Prager Straße.
Einschließlich einer anvisierten Achse vom Rathaus nach Osten
Zeichnung Oktober 1963,  SLUB Nachlass Kurt W. Leucht NL 78,2.


Die Leningrader Straße bekommt im Mittelstreifen eine Vierer-Reihe Lindenbäume. In der geraden Achse vom Rathausturm Richtung Herkulesallee wird allerdings bewusst ein ca. 50 Meter breiter Streifen von Bepflanzung frei gehalten, um diese seit der Enttrümmerung nun tatsächlich entstandene Sichtachse frei zu halten.


Robotron-Kantine 2024 mit freier Sichtachse zum Rathausturm
Rathausachse mit freier Sicht auf den Turm und Robotronkantine im Vordergrund. Foto: Thomas Kantschew 2024



1968  - Plan: Dresdner Robotron-Areal


Vom 17. - 22. April 1967 tagt in Ostberlin der VII. Parteitag der SED, der „Fortschrittsindustrien“, wie die Mikroelektronik, gezielt fördern möchte. Es soll eine Reform geben, die man als „Übergang“ bezeichnet vom NÖSPL (Neues Ökonomisches System der Planung u. Leitung) zum ÖSS, dem Ökonomischen System des Sozialismus.
In Dresden wird dafür vom Rat der Stadt und dem Oberbürgermeister Gerhard Schill die bereits 1965 anvisierte riesige leere Innenstadtfläche östlich des Rathauses verbindlich zur Verfügung gestellt – nun aber mit moderatem Wohnungsbau in Form von fünf Hochhäusern an der südlichen Grunaer Straße. Die Planung umfasst jedoch in erster Linie das neue „Forschungs- und Verwaltungszentrum am Georgplatz“ - für 6500 Arbeitsplätze.



Modell des geplanten "Instituts- und Verwaltungskomplexes am Georgplatz und der Bebauung südlich der Grunaer Straße". Foto: DA 1968 17/1 - Vergrößerung
Mit durchgehendem Grünzug bis zum Großen Garten + Sport- und Kongresshalle.


Ein Hochhaus sollte am repräsentativen Knotenpunkt entlang der neuen Nord-Süd-Trasse und prominent gegenüber vom Rathaus die städtebauliche Bedeutung der neuen Zukunftsindustrie unterstreichen. Auf den Hochpunkt wird in der weiteren Planung verzichtet, wohl aus Sparksamkeitsgründen. Ebenso gestrichen wird die Mehrzweck-Sporthalle, eine extravagante Schöpfung der Ostmoderne. Schlussendlich wird das Robotron-Areal in einer reduzierteren Variante errichtet.



Sport- und Kongreßhalle, Architekturwettbewerb, 1. Preis: Gunter Just, Herbert Feige, Jochen Voigt, Hermann Rühle, Foto: DA (1968), H. 11.  Links im Hintergrund: Rathausturm


Ausgerichtet soll der öffentliche Raum werden zum nun freigestellten Rathaus mit seiner neuen Ostfassade und dem sanierten Turm als markanter Bezugspunkt. Die Durchwegung orientiert sich jedoch an jener bereits 1934 im Gauforum-Wettbewerb erstmals vorgeschlagene West-Ost-Achse, um die sich die neuen Gebäude gruppieren.

Aber 1967 nach einem ganz anderen Konzept:
Das Forschungszentrum entlang der Achse soll keine Verkehrsstraße sein, sondern ein öffentlicher Raum als Fußgängerzone. Im Sinn der (damals) modernen verkehrsgerechten Stadt wird der Hauptverkehrsstrom an dem neu konzipierten Nord-Süd-Verkehrszug mit viel Grün dazwischen festgelegt. Von der ursprünglichen Planung einer sehr breiten, repräsentativen Fußgängerüberquerung wird bald Abstand genommen, nicht einmal eine Ampelüberquerung gibt es. (Fußgänger müssen einen weiten Umweg durch die Unterführung am Pirnaischen Platz nehmen, um zum Robotron-Freiraum gelangen.) Wichtigste Ursache für die Rückstufung der Ausgestaltung dieses repräsentativen öffentlichen Raumes war der Kurswechsel nach dem Sturz Ulbrichts durch Erich Honecker im Mai 1971 und der sich daran anschließenden Schwerpunktverlagerung zu deutlich gesteigertem Wohnungsbau, was Einsparungen an anderer Stelle zur Folge hatte. (24)


ursprüngliche Planung Robotronareal 1969 mit großem Freiraumkonzept
Planung Robotronareal 1969 mit großzügigem Freiraum und Hochhaus gegenüber vom Rathaus, Foto: Zeitschrift Deutsche Architektur 1969. Vergrößerung



  22) Leucht war zwischenzeitlich in Ostberlin für das DDR-Prestigeobjekt der Achse Karl-Marx-Allee zuständig und plante dort den Abschnitt Block D. In Dresden war er von 1966 – 69 Stadtarchitekt.

23) Nur zum Vergleich: Champs Élysées in Paris 70 Meter Breite / Ostberliner Stalinallee 90 Meter Breite / Berlin Straße des 17.Juni (1937-38 Speer-Ost-West-Achse) 45/ 85 Meter Breite / Moskau 1969: als breite achtspurige Schneise in die Altstadt geschlagene Achse "Neuer Arbat" (ehemals Kalinin Prospekt) von 1962 bis 1968 - Breite zwischen ca. 80 u. 90 Meter. Sie war bereits 1935 in Mokskau-Generalbebauungsplan vorgesehen.
Vorbild für die Dresdner Magistrale waren östliche und westliche überbreite Verkehrsstraßen, die der Massenmobilisierung ab den späten 1950er Jahren, besonders im geteilten Autoland Deutschland, auch in den historischen Innenstädten extrem viel Raum bot. Impulse kamen auch von neuen Städten des globalen Südens, wie Brasilia mit der Eixo Monumental (Monumentalachse) mit 12 Fahrspuren und 250 Meter Breite, 1960 fertig gestellt - immer noch die breiteste Straße der Welt.

24) Weitere Gründe können daran liegen, dass im Laufe des Jahres 1969 der Stadtarchitekt und Chefplaner des Dresdner Generalbebauungsplanes Kurt W. Leucht von Walter Ulbricht von dieser Position entlassen wird. Prioritäten werden zudem mit dem entstehenden Freiraum Prager Straße anders gesetzt. Eine zusätzliche Erklärung ist: in der wortwörtlich ungebremsten Fortschritts-Euphorie sollen dem Verkehrsfluss der Nord-Süd-Magistrale möglichst wenig querende Ampel-Beschränkungen gesetzt werden.



Städtebau Robotron-Areal

Während sich die Gebäude entlang der Petersburger Straße (Atrium I und Büroriegel) weit zurück gesetzt anordnen, befinden sich Atrium II, Rechenzentrum und die freistehende Robotron-Kantine in lockerer Aufteilung der Gebäude mit verschiedenen Abständen zum platzartigen Grünraum in der Mitte.
Die Zufahrtsstraßen führen lediglich von außen an die Hinterseite der neuen Robotron-Institute heran.

Die sachliche und dennoch künstlerische Architektursprache der Ostmoderne steht zur wuchtig, hohl neoklassizistischen Architektursprache vom einst geplanten Gauforum und seiner Aufmarschachse im krassen Gegensatz.
Der ausführende Architekt Axel Magdeburg und sein Kollektiv überbauen im Gesamtplan für das Robotron-Gelände jetzt tatsächlich die Grundstücke vom Anfang der diagonalen Johann-Georgen-Allee. Der Grund ist, in den 1960er Jahren bevorzugen Städteplaner oft ein orthogonales Raster im Grundriss, also nur rechte Winkel, die sich auch in den strengen Kuben der Architektur wiederfinden. Die schräg verlaufende, stillgelegte Johann-Georgen-Allee „stört“ in diesem Denken (bzw. hat auch gar keine Funktion mehr in dem neu geregelten Verkehr).
Wenn man genauer hinschaut, verliefen allerdings in diesem Raster die südlich gelegenen Robotrongebäude in einem Neigungswinkel von ca. 5° gemessen zur geraden Mittelachse.



Generalbebauungs- und Generalverkehrsplan (Ausschnitt: Gebiet Grunaer Straße Süd). In: Gesamtbebauungsplan Zentrum. Prognostische Entwicklung. Rat der Stadt Dresden. Januar 1967. Ab 1970 verändert umgesetzt. Städtebau der Moderne als Stadtlandschaft inmitten von Grünräumen. Dennoch die Achse mit Alleebäumen soll entstehen als gewünschte Grünverbindung vom Großen Garten in die Innenstadt.

1970 werden die Planungen im Generalbebauungsplan leicht verändert. Im Plan von 1969 ist noch eine kammartige Struktur des Gebäudes an der Achse vorgesehen. In den Folgejahren wird das Bürohaus abgeändert zu einem Pendant des vorhandenen Atriums, benannt dann „Atrium II“. Siehe: Plan 1969/70
Die alte Johann-Georgen-Allee (Lingnerallee) sollte in diesem Plan 1969 komplett verschwinden, alle an der Allee befindlichen Bäume gefällt werden, damit die neue Ost-West-Fußgängerzone bis zur Lennéallee ohne Unterbrechung hätte durchgezogen werden können. Dieser Planungsansatz wird nicht umgesetzt, die alten hohen Spitzahorn-Bäume bleiben bestehen.

Allerdings soll die radiale Grünverbindung zum Großen Garten modifiziert werden. Im April 1977 heißt es: „Die parallel zur Grunaer Straße im Zuge der Herkulesallee verlängerte Grünachse zum Großen Garten ist schrittweise auszugestalten und von einer weiteren Überbauung freizuhalten.“ (25)



Foto: Bybbisch94, CC BY-SA 4.0 <https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0>, via Wikimedia Commons, Blick vom Rathausturm 1972 auf das fast fertig gestellte Robotron-Areal. Der öffentliche Freiraum ist noch Baustelle. Gut zu erkennen hinter der Robotron-Kantine: schräg verlaufende ehemalige Johann-Georgen-Allee, seit 1947 Lingnerallee.


Von einer qualifizierten Landschaftsgestaltung auf dem „Robotron-Platz“ selbst kann nach Fertigstellung des Areals 1974 aber kaum die Rede sein. Die ursprünglich anvisierte südliche Baumreihe wird auf der öffentlichen Freiraumfläche nicht gepflanzt. Blumenbeete und Brunnen entfallen. Die Ausgestaltung dieser Freifläche gerät ins desinteressierte Abseits.


Robotronkantine - künftiger Ort des Kunsthauses Dresden Foto 2024
Robotron-Kantine am Standort der ehemals geplanten Hygiene-Museum-Erweiterung von Wilhelm Kreis an der „Neuen Prachtstraße“/ Ecke Zinzendorfstraße 1940. Hier am Ort geplant: Nationalsozialistische Volkswohlfahrt (NSV).
Ein flacher Pavillonbau in der Sprache der Internationalen Moderne mit typischen Ostmoderne-Merkmalen setzt einen deutlichen Kontrapunkt zu den einstigen NS-Planungen von Wilhelm Kreis. Foto: Thomas Kantschew 2024


Der neu entstandene öffentliche platzartige Raum im Robotron-Areal wird 1974 fertig gestellt. Er bekommt, als ob er irgendwie vergessen wurde, auch keinen Namen.
Lediglich „die Straßen- und Hausnummernbezeichnung Lingnerallee 3 wurde mit Schreiben vom 13. November 1973 an den Antragsteller VEB RFT Meßelektonik "Otto Schön" Dresden für das Objekt Atrium II vergeben. (RFT = Rundfunk- und Fernmelde-Technik der DDR). In den vorliegenden Flurkarten aus diesem Zeitraum ist die Hausnummer allerdings nicht eingetragen, dort fanden wir sie erst auf einer Karte, die zwischen 1998 und 2005 bearbeitet worden ist. “ (26)
Der Name „Lingner“ hätte damals - aus Sicht des SED- Geschichtsverständnisses – ohnehin nicht zu dem neuen öffentlichen Raum mit der Zukunftstechnologie des Robotron gepasst.
Die vergebene Adresse Lingnerallee 3 wurde wahrscheinlich dort zugeteilt, weil unmittelbar vor Bebauung noch „unter“ dem Bürohaus die alte Johann-Georgen- Allee verlaufen war, die nun Lingnerallee hieß. (Übersicht über alle Betriebsteile von Robotron Dresden auf: https://robotron.foerderverein-tsd.de)


Der unbenannte Stadtraum am Robotron-“Platz“ dient nach Fertigstellung eher den Mitarbeitern des Kombinates, als der Stadtgesellschaft allgemein, dennoch bleibt das Betriebsgelände und damit der Durchgang zum Großen Garten stets öffentlich zugänglich. Die Figurengruppe „Proletarischer Internationalismus“ wird 1982 genau am Beginn der ehemals geplanten NS-Achse, gegenüber vom Rathaus, errichtetet. (Das Kunstwerk von Vincent Wanizschke war allerdings ursprünglich am Beginn der Planungen 1975 für das neue Wohnungsgebiet Prohlis bestimmt.)

Es ist unklar, ob den Gestaltern dieses Raumes in dieser Zeit im Detail bewusst ist, auf welchen NS-Planungen sie den neuen öffentlichen Raum bauen wollen. Quellen zu den Gauforum-Planungen samt Aufmarschachse sind zwei Jahrzehnte nach dem Krieg schwer zugänglich bzw. es wurde darüber nichts publiziert. Vieles wurde im „antifaschistischen Kampf“, so ein häufiger Sprachgebrauch der SED, verdrängt und verschwiegen. Allerdings: Kurt W. Leucht kannte den langjährigen Chef-Stadtplaner Dresdens Paul Wolf in den 1950er Jahren persönlich, hat ihn sogar 1950 im DDR-Ministerium für Aufbau als Oberreferent für Stadtplanung eingestellt. Leucht war zudem in Dresden bei Georg Sagebiel, dem Leiter des Entwurfsbüros beim Luftkreiskommando III, ab Ende 1935 bis Frühjahr 1937 als Architekt angestellt.


In den 1980er Jahren werden dann, gemäß dem Dresdner Entwicklungskonzept von 1977, zwei Doppelreihen Kastanienbäume an der Herkulesallee im Bereich Cockerwiese (27) gepflanzt, wohlbemerkt in erster Linie aus stadtklimatischen Gründen. Die bis dahin hier leergeräumte Fläche am ehemals geplanten NS-Gauhaus bekommt dadurch eine lineare Struktur.

verlängerte Herkulesallee an der Cockerwiese mit Kastanienbäumen, gepflanzt ca. 1985
Verlängerte Herkulesallee an der Cockerwiese, gepflanzt ca. 1985, Foto: Thomas Kantschew, Vergrößerung

  25) Aus: „Grundlinie zur städtebaulich-architektonischen Entwicklung des Bezirkes Dresden“ vom Bund der Architekten der DDR – Bezirksgruppe Dresden (u.a. Hänsch, Leucht, Michalk, Sniegon, Pampel)  4/1977,  In: Nachlass Kurt W. Leucht NL 78,2 in SLUB). Die Entwicklung des Städtischen Grüns gewinnt auch in der DDR immer mehr aus sozialen und ökologischen Gründen an Bedeutung.

26) Auskunft des Katasteramtes Dresden vom 28.Mai 2024

27) Der englische Rock- und Blues-Sänger Joe Cocker trat am 2. Juni 1988 vor 85 000 Zuschauern auf dieser Wiese während eines Open-Air-Konzertes auf.



zum Teil 3: Entwicklungen von 1990 bis in die Zukunft

zum Teil 1: Entwicklungen von 1889 bis 1945