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Bauherr: |
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"Energie-Versorgung Groß Dresden A.-G. (Egro)", bestehend aus
Aktiengesell-schaft Sächsische Werke + Stadt Dresden)

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Architekt: |
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Emil Högg in Zusammenarbeit mit
Friedrich Rötschke und Kurt Beyer
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Bauzeit: |
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1927 -
30
Bereits 1926 fanden Standortunter-suchungen statt. Die
Alternative war der Borsberg bei Pillnitz.
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Adresse: |
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Am
Fährhaus 4 |
heutiger
Besitzer: |
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Energiekonzern
Vattenfall |
Weniger Kilometer nordwestlich von Dresden wurde 1927 bis 1930 das
Pumpspeicher-Kraftwerk Niederwartha errichtet. Mit vier
Pumpspeichersätzen war es bei seiner Inbetriebnahme weltweit das erste
leistungsfähige Kraftwerk seiner Art. Nach der Demontage der
Kraftwerksanlagen im Zuge der Reparationsforderungen durch die
Sowjetunion musste das Kraftwerk stillgelegt werden und ging erst 1957
wieder in Betrieb. Nach dem weiteren Ausbau 1960 erreicht Niederwartha mit insgesamt sechs Maschinensätzen eine Nennleistung von 120
Megawatt. Das Oberbecken des Kraftwerks befindet sich in einem
durch einen Staudamm abgeriegelten Tal. Es hat einen natürlichen
Zufluss, der den Speicher wieder durch den Grundablass eines Bachs
verlässt. Das Arbeitswasser wird durch
Überpumpen aus Brunnen, die aus Grundwasser der Elbe gespeist werden,
gewonnen.
(Text im Wesentlichen aus der Broschüre "Vattenfall Europe
Minig & Generation, Energie aus Wasserkraft")
Innovation für die Großstadt Dresden
Die staatliche Aktiengesellschaft Sächsische Werke, die
die Energieversorgung sächsischer Städte vornehmlich mit
Braunkohleenergie gewährleistete, suchte Mitte der 1920er Jahre
nach zusätzlichen Möglichkeiten der Stromerzeugung - und speicherung.
Besonders für die Groß- und Industriestadt Dresden war ein erhöhter
Energiebedarf in den Spitzenzeiten zu verzeichnen. Ein neues Verfahren
auf Wasserkraft-basis sollte hier zur Anwendung kommen. Gemeinsam mit
der Stadt Dresden baute die Aktiengesellschaft Sächsische Werke an der
südwestlichen Hangkante des Elbtales in Niederwartha ein Wasserkraftwerk auf Basis von
Pumpen und Speichern. Mit diesem innovativen und nachhaltigen Konzept
war Dresden Vorreiter und Pionier einer Energiepolitik
erneuerbarer Quellen, als der Klimawandel noch überhaupt kein Thema
war. Natürlich stand damals ein Ausgleich der Belastungsschwankungen
und eine Verbesserung der Stromsicherheit im Vordergrund.
1928-29 errichteten bis zu 2000 Arbeiter das Oberbecken in Oberwartha und das Unterbecken in Niederwartha, verbunden durch
zunächst zwei große Stahlröhren (Hangrohrleitung mit einer Länge von 1.920m ) und
sogenannte Wasserschlösser, die dem Druckausgleich bei Lastwechsel
dienten.
Architektur
von Emil Högg
Am unteren
Staubecken entstand ab 1928 ein Ensemble von drei
Gebäudekuben in der Formen-sprache der Moderne und der neuen
Sachlichkeit unter Leitung des TH-Professors Emil Högg, der bereits
mit den Dresdner Ernemannwerken 1918/ 1923 innovative
Industriearchitektur entworfen hatte. Das Kraft- und Umspannwerk
besteht aus einer Stahlbetonkonstruktion mit Klinkerverkleidung. Im
Zentrum steht das große Maschinenhaus direkt am Staubecken, davor ist
ein
dreistöckiges Schalt- und Verwaltungsgebäude gelagert, dem sich noch
ein niedrigerer Werkstättentrakt anschließt. Dekorative
Ziegelverbände, horizontale hellere Betonsimse und fein gesprosste, liegende Doppelfenster gliedern die Fassaden. Beim genaueren
Hinschauen fallen ornamentale, großflächige Muster an den Klinker-flächen
auf, die noch leicht spätexpressionistischen Charakter tragen.
Faszination: Klinker
Interessant ist: Högg verwendet für sein Werk nicht,
wie z.B. Kurt Bärbig in der Konsum-Fabrik
rote Klinkersteine oder Paul Wolf rotbraune Klinker beim
Heizkraftwerk Wettiner
Platz, sondern einen kühleres Graurotbraun in unterschiedlichen Nuancen
bei jedem einzelnen Stein.
Das verschafft dem Bauensemble eine eher dem technischen Zweck
dienende, nobel zeitlose Ausstrahlung. An allen drei Gebäuden,
besonders aber beim größeren Maschinenhaus
fällt die geschickte rationale Komposition der Fassade auf, die mit
weißen horizontalen Betonsimsen gegliedert wird, vertikal unterbrochen
von kupfernen Regenfallrohren in regelmäßigen Abständen. Eine wirklich
beglückend ruhige Architektur in ausgewogenen Proportionen! Lediglich
die leicht spätexpressionistische Wellen-Betonung des Zinnenkranzes im
Dachbereich und die ornamentale Behandlung der Fassadenteile in den
oberen Flächenfeldern geben dem auratisch ruhenden Bau eine dezente
Belebung. Zum Staubecken hin zeigt das Maschinenhaus sechs
markante turmartige helle Schächte, die Abluft-zwecken dienen, ein
siebenter Vorbau hat lediglich Treppenhausfunktion. Die Halle
besitzt ein leicht geneigtes eisernes Fachwerkbinderdach, was jedoch von außen
scheinbar wie ein Flachdach wirkt.
Beim Verwaltungsbau mit Turm
liegt die elegante Komposition im Reiz eines spannungsvollen
Wechsels zwischen horizontalen Linien und einer vertikalen Dominante,
die das Treppenhaus aufnimmt. Die strengen rechteckigen Formen des
Gebäudes lockert der halbrunde Treppenturm auf. Exponiert wirkt zudem ein herausragender kupferumkleideter Balkon mit
ebenfalls
abgerundeten Ecken. Funktional wird so die Bedeutung der dahinter
liegenden Schaltwarte betont. Der freie Blick von hier fällt direkt
auf das große Feld des Umspannwerkes.
Der Werkstättentrakt wiederholt
noch einmal sämtliche Gestaltungselemente samt kupfergrüner
Abdeckungen der Fensterbänke, heller Klinkerfugen sowie der Vor-und
Rücksprünge in den horizontalen Klinkerverbänden zwischen den
Fenstern. Hier sind
die filigranen, witterungsanfälligen Gusseisenfenster z.T. noch im Original zu
sehen, während bei diversen Sanierungsphasen nicht immer passende neue
Fenster eingesetzt worden waren.
Am Oberbecken befindet sich
das Einlaufbauwerk und an den Wasserschlössern das Drosselklappenhaus in gleicher geometrisch klarer
Architektursprache und kubischen Glas-Oberlicht.
Foto SLUB
Technische Ausstrahlung und zeitlose Schönheit
Während Paul Wolfs neues Westkraftwerk am Wettiner
Platz mit seinem großvolumigen Kesselhaus und der vermeintlich
Dresden-untypischen Klinkerarchitektur in der Nähe des Zwingers von
konservativen Kreisen stark kritisiert wurde, vernimmt man bei der
Klinkerfassade des Pumpspeicherwerkes mit
moderater Höhe und Flachdächern keinerlei Ablehnung. Ganz im
Gegenteil:
„Durch seine ausdrucksstarke Architektur wurde
auch das damals noch außerhalb Dresdens gelegene Pumpspeicherwerk
Niederwartha mit seinen teilweise ornamentierten Klinker-Putz Fassaden
und Flachdächern Inbegriff für modernes Bauen im Raum Dresden.“
(Zitat Jan von Havranek „das neue dresden.
Architektur 1919-1949 Bibliografie“ unveröffentlichtes Manuskript vom
2001)
Verschiedene Fachzeitschriften rühmten das Werk in
Niederwartha als eines der modernsten Kraftwerke in Europa.
Die dezidiert moderne Architektur stellt angesichts Emil Höggs
kunstgewerblichen Schaffens in seiner frühen Phase einen wirklichen
ausdrucksstarken Höhepunkt dar. Möglicherweise gab der deutlich
jüngere Büropartner Friedrich Rötschke (1891-1969) dem älteren Högg
(1867-1954) Impulse. Rötschke promovierte 1931 an der TH Dresden bei
Emil Högg. Danach arbeiteten sie als
gemeinsames Architektur-büro „Högg & Rötschke“ und
wurden 1932-33 quasi Nachbarn in Radebeul, als sie gemeinsam das neue
Wohnhaus Rötschkes in der Hoflößnitzstraße 15 errichteten (Högg wohnte
bereits seit 1912 in Radebeul). Als dritter Fachmann im Team muss
unbedingt Prof. Kurt Beyer genannt werden, eine
Ingenieurkoryphäe der damaligen TH Dresden, der speziell das
Wasser-bauprojekt der Staubecken konzipierte. Infos zum Gesamtwerk auf:
https://tu-dresden.de
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Schalt- und Verwaltungsgebäude mit Treppenturm.
Groß

Schalt- und Verwaltungsgebäude
und Werkstatt (rechts vorn im Bild),
Groß

Schalthaus mit
Kupfer-Glas Balkon der Schaltwarte.
Groß

Zwanziger
Jahre-Moderne mit Betonung horizontaler Bänder,
Groß

Maschinenhaus mit Abluftschächten
am unteren Stausee.
Groß

Maschinenhaus mit
sechs Maschinen-sätzen. Funktionsfähig sind nur noch die Maschinen 3+4
in der Mitte.
Groß

Leitungszuführungen zum
Maschinenhaus,
Groß

Maschinenhaus
und die drei Druckrohrleitungen,
Groß

Verwaltungsgebäude Südseite,
Groß

Werkstattgebäude,
Groß

Klinkergestaltung,
Groß

Schaltwartentrakt
und Kantine, Groß |
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Erweiterung 1957-60
Das Maschinenhaus wurde in
den Jahren
1957-60 erweitert, um Platz für zwei weitere Pumpspeicher-sätze zu
errichten. (Eine Erweiterung von vier auf acht Maschinensätze war von
Anfang an, also bereits 1928 geplant.) Bei der äußeren Architektur wurde, außer der ornamentalen
Behandlung der Klinkerflächen, exakt die gleiche Form rekonstruiert,
einschließlich expressionistischer Wellenform des Dachabschlusses und
der Regenfallrohre, um einen einheitlichen Gesamteindruck zu erzeugen.
Lediglich die Farbe des Klinkers war bewusst in einem leicht helleren
Ton gewählt worden. Die Nordseite wies vor der Erweiterung
langgezogene Fensterbänder auf (Foto
Slub), 1960 wurde dann aber der Wand-Fenster-Rhythmus der Längsfassade
hier wiederholt. Alles in allem jedoch eine äußerst sensible
rücksichtsvolle Erweiterung, die den geschlossenen Gesamteindruck
nicht schmälert.
Reparationen und
Rückkehr der Maschinen
Interessant zu erwähnen, dass
Teile der zwei zusätzlichen Maschinensätze exakt die alten vom ehemaligen
Dresdner Sachsenwerk sind, die nach 1945 als
Reparationen für die Sowjetunion demontiert worden waren. Sie konnten
aber in der UdSSR nicht verwendet werden, da sie genau auf diesen
Standort konzipiert worden waren. So gelangten 1956 im Zuge des
Chrustschow’schen Tauwetters die vier
Synchron-maschinen (Motor und Generator zugleich), wieder von
Sewastopol nach Niederwartha zurück. Zwei konnten wieder instand
gesetzt werden und
stehen heute noch im Original von 1929 in dem nach Norden erweiterten
Maschinenhaus, gut zu erkennen am originalen Schriftzug
"Sachsenwerk" mit der modernen Typgraphie. Die anderen
Teile der Francis-Turbinen und Pumpen wurden von der Firma Voith im österreichischen St. Pölten gefertigt
und in die DDR importiert.
Denkmalschutz
Das Pumpspeicherwerk
Niederwartha steht seit den 1980er Jahren unter Denkmalschutz (zuerst
nur die äußere Hülle, nach 1990 als Ensemble einschließlich der
Maschinen). Auch
deswegen wurde es nach der großen Elbeflut im Jahr 2002 von der
Vereinigten Energiewerke AG (VEAG)
wieder instand gesetzt und hochwassersicher ausgebaut. Seit 2003
übernahm das Werk der Konzern Vattenvall.
Bürgerinitiative zur Erhaltung
2012 gründete sich
eine Bürgerinitiative zum Erhalt des Werkes. Die Bürgerinitiative hat
sich dafür eingesetzt, dass die sogenannten Netznutzungs-endgelte für
Pumpspeicherwerke abgeschafft werden, damit die wirtschaftliche
Rentabilität gewährleistet ist. Darüber hinaus besteht in
Niederwartha millionen-schwerer Investitionsbedarf. (Von den sechs
Turbinen sind nur noch zwei in Betrieb und diese sind auch
mittlerweile mehr als 50 Jahre in Betrieb.) Die BI will erreichen,
dass das PSW betriebsfähig erhalten wird, die weitläufigen Anlagen
unterhalten werden und keine Tatsachen geschaffen werden, die einer
Modernisierung im Wege stehen.
Schließung des Werkes
"Der Energiekonzern Vattenfall sieht keine Chancen für eine
Modernisierung des Pumpspeicherkraftwerks Niederwartha in Sachsen. Das
Pumpspeicherwerk, das 1927 gebaut wurde und eine Nennleistung von 120
MW hat, müsste eigentlich in den kommenden Jahren modernisiert werden
erklärte Gunnar Groebler, Direktor bei Vattenfall Europe
Generation, auf einer Fachtagung in Berlin. Die wirtschaftlichen und
regulatorischen Rahmenbedingungen sprächen aber gegen solche eine
Investition. Pumpspeicher seien derzeit kaum wirtschaftlich zu
betreiben, da ihr klassisches Tag-Nacht-Geschäftsmodell wegen der
hohen Solarstromeinspeisung in der Mittagszeit nicht mehr
funktioniere. Regulatorisch litten die Pumpspeicherkraftwerke
darunter, dass sie als Stromendverbraucher gelten und mit
Netzentgelten belastet werden. Unter diesen Bedingungen würde sich
eine Investition in Niederwartha erst nach 35 Jahren amortisieren,
erklärte Groebler. Er plädierte dafür, Pumpspeicher wegen ihrer Rolle
für die Netzstabilität von den Netzentgelten zu befreien. /gk"
Zitat von:
www.energate-messenger.de vom 19.09.2013
Ab dem 1. Januar
2016 setzte der Betreiber Vattenfall das Pumpspeicherwerk Niederwartha
in den sogenannten "Übergangsbetrieb", also eine Art Bereit-
schaftszustand.
Kompromiss
Der
derzeitige Kompromiss sieht einen Erhalt des Werkes vor, einschließlich
Wartung und Instandhaltung der Anlagen, Dammsicherheit +
Gewährleistung des Wasserstandes für das Freibad im unteren
Staubecken. Bei akuten Energiebedarf ist eine sofortige Aktivierung
der Energieleistung möglich. Dazu liegen Fachgutachten vor, u.a. 2011
von:
www.siempelkamp-dresden.com und 2014 von
vde-dresden sowie ein Vertrag mit den Dresdner
Stadtwerken Drewag und Vattenfall.
Zukunft
Ein dauerhafter Erhalt dieser seltenen,
fast noch im Original erhaltenen Industrieanlage ist unbedingt
anzustreben. Der kunst- und technikhistorische Wert ist, gerade auch im Hinblick
von 100 Jahren Bauhaus, nicht hoch genug einzuschätzen.
www.bauhaus100.de
Selbstverständlich ist auch ein Maschinenhaus-Neubau neben der
historischen Anlage denkbar. Das wurde bereits 2008 von Vattenfall
konzipiert, dann aber wegen mangelnder Wirtschaftlichkeit der
Rahmen-bedingungen vorerst fallen gelassen.
Text: Thomas Kantschew (November 2018)
Neue Meldungen 2020: Drohende
Komplett-Stilllegung
Der Energiekonzern Vattenfall
will das Pumpspeicherwerk Niederwartha zum Ende des Jahres 2020
vorläufig stilllegen. Bei der Bundesnetzagentur ist das PSW
Niederwartha auf der Liste der geplanten
Kraftwerksstilllegungsanzeigen. Damit ist nicht nur der Weiterbetrieb
des sehr beliebten Freibades Cossebaude bedroht, sondern auch die
gesamte Anlage des technischen Industrie-Baudenkmals. Info:
MDR vom 16.02.2020
Weblinks
ENSO-Blog Energiegeschichte: 85 Jahre Pumpspeicherwerk
Niederwartha von Katja Weinhold am 5.09.2014
www.industriekultur-in-sachsen.de
BI Erhalt
Pumpspeicherwerk Niederwartha auf:
https://de-de.facebook.com/
www.industrie-kultur-ost.de
Literatur
Tilo Richter, Hans-Christian Schink: Industriearchitektur in
Dresden Hrsg.: Deutscher Werkbund Sachsen, Leipzig 1997.
Das
Pumpspeicherwerk Niederwartha bei Dresden, In: Die
Wasserkraftwirtschaft Deutschlands. Festschrift zur Tagung der II.
Weltkraftkonferenz Berlin 1930, S. 283-290.
Paul Feistner: Pumpspeicherwerk Niederwartha: Maschinenbetrieb, Energiespeicherung,
Energieabgabe, In: ASW-Mitteilungen (Werkzeitschrift der AG
Sächsische Werke Dresden); 7(1930), 4, S. 56-59.
Geschichte und
Geschichten zum Dresdner Strom, DREWAG - Stadtwerke Dresden GmbH,
2005.
Denkmale in Sachsen, Weimar 1981.
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Maschinenhaus
Erweiterung 1960 Nordseite,
Groß

Maschinenhaus
Altbau (rechts) und Anbau von 1960 (links),
Groß

Original-Synchronmaschine
vom Sachsenwerk Dresden aus dem Jahr 1929 (im Hintergrund Pumpe von
der Firma Voith), Groß

Verwaltungsgebäude
mit Treppenturm, vorn Werkstättentrakt,
Groß
Alle Fotos von T.Kantschew (Oktober 2018) |