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Architekt: |
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Fritz August Franz |
Bauzeit: |
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1951 - 52 (Abriss großer Teile: 2005) |
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2006 Wiedereröffnung des "Portikus"
als "Haus der VEM" |
Adresse: |
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Niedersedlitz, Stephensonstraße 6 |
Ehemals:
"Anlage mit großem Saalbau zur kulturellen Betreuung der Sachsenwerker. Großer Saal mit Rang und Bühnenanlage mit 750 Plätzen, kleiner Saal mit 132 Plätzen, 3 Mehrzwecksäle mit insgesamt 115 Plätzen, Freiluftterrasse mit 60 Plätzen, traditionelle Bauweise, Sandsteinputzfassaden"
(Architekturführer DDR, Bezirk Dresden, Berlin 1979)
"Zweiflügeliger Bau von traditioneller Gesamterscheinung, Gliederungen in Sandstein. Einzelform von NS-Repräsentationsbauten bestimmt, aber mit modernen Einflüssen (über Pfeilervorhalle nur dünne Dachplatte, ohne Architrav, Pfeiler ohne Kopfplatten"
(Ulrich Hartung: Arbeiter- und Bauerntempel. DDR-Kulturhäuser der fünfziger Jahre", Berlin 1997)
Repräsentatives Kulturgebäude mit Tempelanleihen
Dieser mittlerweile nur als Rudiment erhaltene Kulturbau war für die Arbeiter
des großen Elektromaschinenwerkes in Nieder-sedlitz errichtet worden. Als eines der ersten Betriebskultur-häuser seiner Art in Sachsen wurde es am 12. Februar 1952 eröffnet. (In Chemnitz entstand das Kulturhaus der Wismut bereits 1950.)
Mit Unterstützung der SAG (Sowjetische Aktiengesellschaft), als neuem Werk-Eigentümer, wollten Aktivisten des Betriebes mit einem eigenen Klubhaus direkt am Werksgelände Arbeitern die Möglichkeit zu kulturellen Aktivitäten geben. Am 12. Januar 1950 regten sie daher den Bau eines eigenen Gebäudes an.
Tatsächlich stellte der sowjetische Generaldirektor Fomenko aus dem 1949 erwirtschafteten Gewinn von 8 Millionen DM die verhältnismäßig hohe Summe von 1,3 Mill. DM für dieses Prestigeprojekt zur Verfügung (1), während andernorts in der gerade gegründeten DDR die Demontagen liefen u. auch das Sachsenwerk für die Reparationen an die UdSSR produzierte.
Ein erster Planentwurf vom Herbst 1950, der 2,4 Mill. DM gekostet hätte, wurde verworfen. Der bescheidenere zweite Entwurf im annähernd L-förmigen Grundriss konnte dann 1951 umgesetzt werden. Zur bereit gestellten Summe kamen freiwillige Aufbaustunden von Werksangehörigen.
Die neue sozialistische Kulturpolitik zwischen Bildung, Erziehung und Propaganda sollte die gesteuerte Teilhabe der "Arbeiterklasse" am kulturellen Rezipieren ermöglichen. (Bereits ein Jahr nach Fertigstellung begann jedoch am 17. Juni 1953 von den Arbeitern des Sachsenwerkes der Arbeiteraufstand in Dresden. Sie demonstrierten für mehr Demokratie und freie Wahlen. Die sowjetische Armee beendete den Arbeiteraufstand mit militärischen Mitteln rigoros.)
Bemerkenswert ist, dass das Dresdner Kulturhaus gebaut wurde, bevor offizielle "zentralistische" Bauanleitungen für diesen neuen Gebäudetypus publiziert worden waren. Erst im Herbst 1953 veröffentlichte die Fachzeitung "Deutsche Architektur" dafür detaillierte Raumprogramm-Vorschläge für Säle zu 300, 500 und 800 Plätze (2) - Beispiel eines kompakten rechteckigen Typenentwurfes.
Aber auch das Kulturhaus Sachsenwerk besteht bereits aus Vorhalle, Foyer, Theatersaal, Orchestergraben, Bühne mit anschließenden Künstlergarderoben und einem Trakt für Restaurant + Küche, Zirkel, Schulung und Verwaltung.
Foto Gesamtansicht 1953 (Foto: Archiv "Haus der VEM")
Der Architekt Franz nutzte für die Architektursprache des neuen Kulturhauses ein klassisches Formenvokabular mit antiken Anleihen einer strengen Pfeilervorhalle.
Ein (nicht mehr vorhandener) südlicher Eingang
mit schmalen eleganten Sandsteinpfeilern trug ein Vordach und beschwor Erhabenheit und festliche Atmosphäre. In dieser Geste mischten sich die aufziehenden Doktrin der "Nationalen Tradition" mit den ausklingenden Moderne-Impulsen eines strengen Neoklassizismus, der seine Vorbilder im Hellerauer Festspielhaus Tessenows oder dem Hygienemuseum in Dresden fand.
Allerdings lassen sich auch nachwirkende Einflüsse eines strengen NS- Klassizismus feststellen, wie z.B. die kantigen Konsolsteine der Fensterbänke.
Dennoch kann man an dieser kargen tempelartigen Eingangs-situation eine gewisse reduzierte Sprache konstatieren, die möglichst Bombastisches vermied und eine festliche Stimmung erzeugte, ohne zu sehr mit Pathos aufzutrumpfen. Ein maßvoll- es Entrée in ruhiger Symmetrie, welches auch im Inneren mit wenig Schnörkel-Zierrat auskam und auf Neobarockes völlig verzichtete. Während in der Altmarktplanung bewusst ein (vermeintlicher) barocker Identitätskern Dresden beschworen wurde, spielten diese Überlegungen bei der Gestaltung des Kulturhauses am Sachsenwerk keine Rolle. Das Aufgreifen des klassizistischen Baustils in der frühen DDR sollte ja eine einheitliche deutsche Kulturnation suggerieren. Dennoch lassen sich am Kulturhaus eben gerade auch regionale Einflüsse ausfindig machen, wie z.B. die hohe Pfeilerhalle der Sächsischen Landesschule in Dresden Klotzsche von 1925.
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Fotos: Deutsche Fotothek 1952
südl., niedrigerer Gebäudetrakt mit Pfeilervorhalle 1952
Saal 1952, Foto: Sachsenwerk, VEM
südl. Flur vor dem Saal (EG) 1952
Das Kulturhaus Sachsenwerk aus der Vogelperspektive nach dem Brand, ca. 2000
Kulturhaus Sachsenwerk, Grundriss EG, Vergrößerung
Kulturhaus Sachsenwerk, Längsschnitt 1954, Vergrößerung
Foyer mit Stahlbetondecke u. Treppe, Vergrößerung
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Kunst am Bau sucht man am Gebäude vergeblich, auch keine frei aufgestellte Plastik, obwohl dies beim Thema Kulturbau nahe gelegen hätte. Im Verlauf der 1950er Jahre sind Dresdner Gebäude oft mit bauplastischem Schmuck dekoriert worden. Die Formalismusdebatte hatte aber zum Zeitpunkt der Erbauung noch nicht volle Fahrt gewonnen. Erst mit der 3. Deutschen Kunstausstellung 1953 in Dresden wurde ein Sieg des sozialistischen Realismus beschworen. An öffentlichen Gebäuden wurde dieser demonstrativ ausgestellt. (Lediglich im Keller lagern jetzt Keramik-Teile einer Wanddekoration.)
Die sowjetischen Arbeiterklubs aus den 1920er Jahren mit ihrem modernen Konstruktivismus dienten nicht als kulturelle Inspirationsquelle. Eine experimentelle Moderne war in Dresden in jenen Jahren kaum erwünscht.
Dennoch kann man der Architektursprache im Inneren eine erfrischende Ästhetik im Geist der swinging Fifties attestieren. Der große Saal besaß - z.B. in der Emporengestaltung schwungvolle Linienführungen, ebenso die Gliederung der Decke. Dieses lebendige kurvige Design ist ein Stück noch in der halbrunden Treppe des erhaltenen Foyers nachvollziehbar.
Den Theatersaal
belichteten sieben hohe, längsrechteckige Fenster zur Nordseite.
Das Kulturhaus Sachsenwerk ist eingebettet in eine parkartige Grünanlage, die bewusst von der Rußatmosphäre des Werkes entfernt eine gesunde Ruhezone erzeugen sollte. Dieser Park erschloss sich besonders von der großen, südlichen Freiluft-terrasse, die vom Restaurant aus erreichbar war.
Das Gebäude
wurde bis zum Umbruch 1989 für Theater- und
Tanzveranstaltungen oder Versammlungen (u.a. Jugendweihe) genutzt.
Es existierten Zirkelräume, Fachbibliothek, Billard- raum und sogar eine Kegelbahn. Auch Arbeitsgruppen des Kulturbundes und andere gesellschaftliche Gruppen trafen sich in den Klubräumen des Gebäudes. Gerade jene Laiengruppen aus Arbeitermilieus, die sich staatlich organisiert nach Werkschluss hier kulturell betätigten, lassen das Kulturhaus auch in der Tradition des Volkshauses stehen.
Denkmalstatus seit 1995
Mit den neuen gesellschaftlichen Bedingungen und der Privatisierung des Sachsenwerkes erfolgte 1990 der Umbau zu einer Diskothek und einem China-Restaurant. Im Juni 1995 wurde das Gebäude in die Liste der Dresdner Kulturdenkmäler aufgenommen als typisches, charakteristisches u. zugleich einzig erhaltenes DDR-Kulturhaus der 1950er Jahre in Dresden. (Amtsblatt 23/95)
Offenbar durch Brandstiftung gingen große Teile des Kultur-hauses, darunter der große Saal, am 29. Juli 1995 in Flammen auf. Danach fand sich kein Betreiber, der sich an den Wieder-aufbaukosten beteiligen wollte. Nach zehn Jahren des Ruinen-daseins und zähen Verhandlungen mit der Denkmalpflege erwirkte die VEM 2004 eine Abrissgenehmigung für 2/3 des Gebäudes mit der Auflage der Sanierung des Vestibül-Traktes. Im Mai 2005 schließlich erfolgte der Abriss. Diese Vernichtung eines der wichtigen kulturpolitischen Architekturzeugnisse der frühen DDR bedeutet für Dresden einen bedauerlichen Verlust von hohem Denkmalwert - sei es im Hinblick auf die Veranschaulichung der Bauästhetik am Beginn der 1950er Jahre, sei es im Hinblick auf die real verloren gegangenen Räume zur multifunktionalen Nutzung. (In vielen Städten der ehemaligen DDR stehen Kulturhäuser leer und verfallen, wie z.B. in Chemnitz, Zinnowitz, Henningsdorf) oder werden abgerissen wie das Klubhaus Neptunwerft in Rostock.
Heutige Nutzung
Allerdings muss die fachgerechte Sanierung des Eingangs- traktes, die über 600 000 Euro kostete, gewürdigt werden.
2004 - 06 hat die VEM Gruppe den stehengebliebenen Teil des Foyers wieder denkmalgerecht hergerichtet und als "Haus der VEM" für unterschiedliche Nutzungen eröffnet. Zum Beispiel wurde die rote Farbe, die der Discobetreiber an alle Werkstein-flächen aufmalen ließ, wieder entfernt.
Das Sachsenwerk, einschließlich des Rumpfgebäudes vom Kulturhaus, gehört den Vereinigten Elektromotoren-Werken.
www.vem-group.com
Haus der VEM heute, Foto: TK - 2012
Resümee
Obwohl nun mittlerweile Geschichte, die Dresdner Denkmal-pflege zog in einem Gutachten folgendes Fazit über das Kulturhaus Sachsenwerk:
"Auf Grund seines lokalen und regionalen Seltenheitswertes und seiner bau-, kultur- und sozialgeschichtlichen Bedeutung besteht an seinem Erhalt ein öffentliches Erhaltungsinteresse, d.h. auch die Denkmalwürdigkeit ist gegeben."
Literatur:
Simone Hain, Stephan Stroux, Michael Schroedter: Die Salons der Sozialisten. Kulturhäuser in der DDR. Ch. Links, Berlin 1996
Ulrich Hartung: Arbeiter- und Bauerntempel. DDR-Kulturhäuser der fünfziger Jahre. Ein architekturhistorisches Kompendium. Berlin 1996
Jörg Kirchner: Architektur nationaler Tradition in der frühen DDR (1950-1955).
Zwischen ideologischen Vorgaben und künstlerischer Eigenständigkeit, Dissertation, Hamburg 2010 (gesamter Text als pdf)
Horst Groschopp: Kulturhäuser in der DDR. Vorläufer, Konzepte, Gebrauch. Versuch einer historischen Rekonstruktion. Aus: Kulturhäuser in Brandenburg. Eine Bestandsaufnahme. Potsdam 1994, (gesamter Text als pdf)
Dagmar Buchbinder: Die Dritte Deutsche Kunstausstellung 1953 in Dresden – Malerei als Teil der Kunstpolitik in der DDR.
(gesamter Text als pdf)
Quellen:
(1) Zahlen: aus einer Ausstellungstafel der VEM im Foyer des ehemaligen Kulturhauses
2) Hellmuth Thunert, Herbert Reichelt: Schemapläne für Kulturhäuser. Aus der Arbeit der Abteilung Kulturbauten des Forschungsinstituts für die Architektur der Bauten der Gesellschaft und Industrie der Deutschen Bauakademie. In: Deutsche Architektur 4/1953
Zirkel für bildnerisches Volksschaffen des VEB Elektromaschinenbau "Sachsenwerk", Dresden-Niedersedlitz (Künstlerischer Leiter: Prof. Gerhard Stengel)
Hrsg.: Kulturhaus Sachsenwerk Dresden, Dresden 1977
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Haupteingang, Foto: TK
Treppenhaus, Foto: TK
Stehengebliebener "Portikus" (Rückseite) mit Brandschutz-Terrasse, Foto: TK - 2012
Fast freischwebend: Treppe, Foto: TK
Kleiner Saal im 1. OG, Foto: TK
Parkartige Umgebung, Foto: TK
Treppenhandlauf (original), Foto: TK
Treppenhaus, Foto: TK
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