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Architekt: Richard Paulick,
Friedrich
Wilhelm
Wurm und
Kollektiv
Bauzeit:-- 1954 - 58
Adresse: -Strehlener Platz 2 (damals
Ernst-Thälmann-Platz)
Heutige
Nutzer: Fachschule für Technik, Berufliches Schulungszentrum
für Elektronik und Technisches Gymnasium.
Lehr- und Seminargebäude der (ehem.) Technischen Hochschule am
Strehlener Platz mit käftiger Betonung des turmartigen Eckgebäudes.
Angrenzende Flügel zur Strehlener Straße und zur Ackermannstraße
in zurück-haltend historisierender Ausgestaltung.
Städtebaulich orientiert sich das Gebäude klar am Leitbild
einer traditionellen europäischen Blockrandbebauung
Klassisches Formenrepertoire
An diesem bemerkenswerten Nachkriegsbau haben sich die Architekten
Paulick und Wurm aufs neue mit dem Leitbild "Nationale
Bautradition" und
einem klassischen Formenrepertoire auseinander gesetzt. "National"
und "Sozialistisch" - diese wichtigen politischen Ziele
des 19. Jahrhunderts waren von den Ultra-Rechten 1933 bis 45 für
ihre menschenverachtende Rassenideologie missbraucht worden. - "Nationale
Bautradition" der DDR dagegen meinte
ein Anknüpfen an progressive
Elemente einer deutschen Architekturtradition. Ganz klar sollte sich
die Bausprache von der negativ herabgesetzten "kapitalistischen
Welt" Westdeutschlands abgrenzen. Doch wie sollte dies nun konkret
für Dresden umgesetzt werden?
Die Funktion: ein großzügiges und großstädtisches
Lehrgebäude sollte entstehen, welches sich klar im Stadtraum
positioniert. Das Baukollektiv schuf dazu einen L-förmigen, klar
gegliederten Baukörper, dessen herausgehobener turmartiger Eckbau
die besondere Bedeutung von Forschung und Lehre unterstreicht. Selbstbewusst
erhebt sich am Beginn der Ausfallstraße, gut von der internationalen
Bahnstrecke Dresden- Prag- Sofia einsehbar, ein neusozialistisches
Prachtgebäude, das eben in der positiven deutschen, insbesondere
aber der sächsischen Bautradition stehen sollte, (auch wenn das
Land Sachsen gerade 1952 aufgelöst worden und in drei neue "Bezirke"
unterteilt worden war).
Es überragt bei weitem die alte Dresdner Traufhöhe und setzt
auf eine kräftige Großstadtentwicklung der Industriestadt
Dresden.
Städtebaulich sollte es mit dem 1947 errichteten, dezidiert modernen Hotel
Astoria auf der gegenüberliegenden Straßenseite den
Auftakt zu einen Großstadtplaz bilden.
Signifikante Merkmale regionalen Bezugs finden sich u.a. im: farbigen
Putz, in der Betonung der Außenkanten mit Werkstein, Akzentuierung
der Erdgeschosszone durch Rundbögen, hochstehenden Fenster mit
differenzierter Sprossung, Verwendung des traditionellen Dachmaterials
Schiefer uvm.
Den herausragenden Qualitätsanspruch der neu angebrochenen Epoche
spiegelt sich u.a. auch in den außergewöhnlichen Geschosshöhen
wider.
Eine besondere Ausgestaltung erfuhr zudem der markante repräsentative
Eckbau. Mehrere starke Säulenpaare flankieren den durch ansteigende
Treppen angehobenen Eingangsbereich mit drei hohen Portalen. Die Säulenkapitelle
wurden in der typischen schlicht ornamentierenden Sprache der 50er
Jahre bescheiden und zurückhaltend betont.
Selbstverständlich fand das im sächsischen Elbtal charakteristische
Baumaterial Sandstein Verwendung.
Das Obergeschoss wurde wiederum mit korrespondierenden Säulenpaaren
verziert. Darüber bildet ein Kranzgesims den Abschluss,
auf dem ein bekrönendes Schmucktürmchen eine abschließende
Akzentuierung findet.
Eine Abklassifizierung als "Zuckerbäckerstil" ist für
dieses Gebäude völlig fehl am Platz. Natürlich im heutigen
"Light-Zeitgeist" wirkt der betont würdevoll und ernste
Bau eher schwer, wuchtig und etwas "uncool". Die Raffinesse
zeigt sich jedoch im im Inneren.
Dresdner
Schwingungen
Mit "Modernität" im Sinne von Neuinterpretation eines
alten Themas spielt die Architektur jedoch im Inneren des Gebäudes.
Die weitläufige großzügige Eingangshalle trumpft mit
einer elegant geschwungenen Doppeltreppe, durch welche ein Portal
zum Flur des Seitentraktes hindurchführt. Die intensive Auseinandersetzung
mit dem bewegten Dresdner Barock sind beispielhaft. Es wird hier ganz
kreativ das Motiv "Schwingungen" in zeitgenössischen
Formen weiterentwickelt. Eine der besten Dresdner Inszenierungen von
Treppenhäusern der Nachkriegszeit!
Treppenhaus im
ehem. Studentenwohnheim Semperstraße 3 von Wolfgang Rauda
(jetzt: Wohnungen) (gleich hinter der Fachschule gelegen), Foto: TK Nov. 2009) -
weitere Aufnahmen dieses Treppenhauses
Veränderungen
gegenüber dem Entwurf
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Foto: TK - März 2004,
Vergrößerung
Treppenhaus 1958
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Modell, Ansicht vom Strehlener Platz (ehemals Thälmannplatz)
Das Gebäude ist entscheidend kleiner gebaut worden als ursprünglich
geplant. Fast der gesamte Flügel zur Ackermannstraße wurde
in der Ausführung eingespart. Auch der Turm ist deutlich verändert
ausgeführt worden.
In den Plänen von Friedrich Wilhelm Wurm wäre die Bekrönung
des Turmes durch ein dreigeschossiges achteckiges Mittelteil mit
aufgesetzter Laterne und Umgang erfolgt, auf der eine große
vergoldete Kugel mit Spitze den Abschluss gebildet hätte.
Das letzte Stockwerk erhielt stattdessen eine zusätzliche Betonung
durch Doppelsäulen, die im Eingangsbereich wiederkehren. Die
Rundbögen entfielen hier ebenso, wie der Figurenschmuck in der
Dachzone. Dezidiert wurde während der Entwurfsphfase "in der architektonischen Gestaltung
der Versuch unternommen, einzelne architektonische Motive und in der
Gliederung der Formen an den Dresdner Barock anzuknüpfen."
- Quelle: Deutsche Architektur 6/ 1954, S. 262 - 264
Direktiven aus der Sowjetunion
Das Thema "Erinnerung" spielte eine herausragende Rolle
in dieser Zeit. Im
architektonischen Bereich wollte
die junge DDR im Gegensatz zum amerikanisch geprägten Westdeutschland
keinen absoluten Bruch mit den deutschen Bautraditionen vollziehen.
Diese Orientierung an klassischem Bauvokabular hing jedoch weniger
von Ostberlin ab, sondern entsprang grundlegenden kulturellen Direktiven
aus der Sowjetunion.
"Stalinistische Architektur", Weiterführung "deutscher
Kultur" oder eine Synthese von verschiedenen Einflüssen
Bereits zwanzig Jahre früher wurden in Moskau die Weichen für
diese Wegscheide im europäischen Städtebau des 20. Jahrhunderts
gestellt: Stalin selbst hatte interveniert als es um den Wettbewerb
zum großen Palast der Sowjets an der Moskwa ging, für dessen
Errichtung die revolutionäre Sowjetmacht 1931 die Christ-Erlöser-Kathedrale
als größten orthodoxen Kirchenbau der Welt sprengen ließ (1992
- 2000 wiederaufgebaut). Nicht die damalige europäische Avantgarde
sollte diesen wegweisenden Bau im Stil des Neuen Bauens errichten,
sondern sowjetische Architekten mit klarem nationalen Bezug.
In diesen wenigen Jahren zwischen 1929 und 1935 entfaltete sich in
der Sowjetunion unter schwierigsten Umständen die bedeutendste städtebauliche
Debatte des 20. Jahrhunderts in Europa! Das Spektrum programmatischer
wie konkreter Planungen für neue Städte wie für den Umbau alter Städte
war unerhört breit.
Den Abschluss der Debatte bildete 1935 der berühmte Generalplan für
das neue Moskau,
dessen 16 Planungs-grundsätze zur Bibel des stalinistischen Städtebaus
wurden. Ein Kernpunkt der neuen Staatsästhetik
war nicht die in Westeuropa propagierte Reduzierung jeglichen repräsentativen
Schmuckwerks und De-Historisierung, sondern eine Weiterführung
des russischen Klassizismus mit eindrucksvoller imperialer Architektur,
wie sie zur gleichen Zeit ähnlich in den USA (z.B. 1936-40 in
Washington die National
Gallery of Art an der Mall) realisiert wurde. [Offenbar konnte
der russische Konstruktivismus nur bedingt den Führungsanspruch
der sowjetischen Elite mit einer repräsentativen Architektur
bedienen. Moskau war seit 1922 die neue Hauptstadt des neuen Staates
"UdSSR" und nicht
mehr das alte zaristische Petersburg.]
Die westeuropäische Architekturelite reagierte bereits 1933 frustriert:
CIAM IV, der "Congrés Internationaux d' Architekture de
Moderne" wurde durch diese Unstimmig-keiten der europäischen
Architektenavantgarde mit den ihrer Meinung nach enttäuschenden,
altmodischen Vorstellungen der Sowjetführung vom ursprünglich
geplanten Moskau nach Athen verlegt. Die berühmte "Charta
von Athen" hätte eigentlich eine "Charta von Moskau"
sein sollen.
Die
Dresdner Fachschule für Verkehrstechnik nimmt nun diese Vorgabe
einer Weiterführung traditioneller Baukultur auf und entwickelt
sie dann kreativ- eigenständig weiter, ohne den überladenden
Ballast einer Buttercreme-Architektur nach Moskauer Vorbild. Eine
genuin "Deutsche Architektur" jedoch, die es höchstens
von 1871 bis 1949 als kulturelles Konstrukt im Deutschen Reich und
den Besatzungszonen gegeben hat, kann man in diesem eigenständig ostdeutschen
Bau nicht ausmachen. Verschiedene Zeitströmungen
wurden in diesem Bau verschmolzen.
Zum Umfeld der
Bauzeit gehören auch
die Historismus-Bauten jenseits des Eisernen Vorhang
in Westeuropa. In der spanischen Franco-Diktatur
1936/1939 bis 1977 (und bereits davor) errichteten viele Architekten
in diesen Jahrzehnten ganz ähnliche Gebäude mit neo-historistischen
Formenvokabular. Die Stilrichtung wird in Spanien heute als "Beaux
Arts - Monumentalisme Classicista" bezeichnet. Herausstechend sind
u.a. folgende Werke:
- CaixaForum in der
katalanischen Stadt Tarragona (ehemals: Edifici de la
Caixa de Pensions de Tarragona), ausgeführt: 1951 – 1953 – mit
städtebaulich markanter Turmlösung, Architekt: Antoni Pujol i
Sevil, (Infos,
Foto) - Museo de Arte e Historia de Reus, Bauzeit:
1955 bis 1961 (Infos) - Edificio España (Bauzeit: 1948 bis
1953), Architekt: Julian and Joaquin Otamendi an der Plaza de España
in Madrid (Infos)
- Hochhaus 117 Meter - Universidad Laboral de Gijón (Region
Asturien) mit 270 000 m² das größte Gebäude Spaniens),
Architecturalstil: Neo-Herrerian, gebaut: 1946 - 55, das Gebäude
reflektiert den Franquismus. (Infos)
Buchtipp:
Harald Bodenschatz, Christiane Post (Hg.):
Städtebau
im Schatten Stalins. Die internationale Suche nach der sozialistischen
Stadt in der Sowjetunion 1929-1935, Berlin 2004, Verlag Braun.
Text: Thomas Kantschew 2004-05 / 2024
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Modell, Ansicht von
der Ackermannstraße aus. Bau verändert ausgeführt.
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