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Architekt: Peter Birkenholz
Ingenieur und Ausführung: M.A.N.,
Werk Gustavsburg b. Mainz
Bauzeit: _1928 (abgerissen: 1938)
Adresse:.
Stübelplatz (jetzt Straßburger Platz)
Das
Kugelhaus ist eines der Gebäude in diesem Architektur-index,
welches heute nicht mehr existiert. Trotzdem soll es hier - stellvertretend
für den Innovativgeist und die Experimentierfreude der sächsischen
Landeshauptstadt - mit aufgelistet werden.
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Hubertus Adam in Neue Züricher Zeitung vom 29.01.2002:
Im Rollen
Entsteht das Dresdner Kugelhaus neu? Mit dem Slogan "Erstes Kugelhaus
der Welt" warb die deutsche MAN AG 1928 für ein im Werk
Gustavsburg konstruiertes und ausgeführtes Gebäude für
die "Jahresschau deutscher Arbeit" in Dresden. Anlässlich
des hundertjährigen Bestehens der Technischen Hochschule in der
Elbestadt hatte sich der Direktor der Ausstellung "Die technische
Stadt" ein spektakuläres Gebäude gewünscht. Auf
Grund eines 1927 in der "Münchner Illustrierten Presse"
abgedruckten Beitrags mit dem Titel "Warum nicht Kugelhäuser?
- Ein neues Städte-Bau-Projekt" war die Wahl auf den Architekten
Peter Birkenholz (1876-1961) gefallen, der sich schon seit einigen
Jahren mit Projekten von Häusern in Kugelform beschäftigte.
Es handele sich, so die Ausstellungsleitung, um einen neuartigen Baustil,
"der noch niemals, auch nicht in Amerika, bisher verwirklicht
worden ist".
Aufmerksamkeit in der Fachöffentlichkeit hatte der Entwurf des
in Elberfeld geborenen und in München tätigen Architekten
für ein Kaufhaus nahe dem Rheinufer in Köln (1925) gefunden,
ein breiteres Echo der Wettbewerbsbeitrag für den Völkerbundpalast
(1926/27) in Genf. Verglichen mit den früheren und auch den späteren
Projekten (beispielsweise für ein Kugelhotel in Leipzig) handelte
es sich bei der 24 Meter hohen Dresdner Kugel um ein bescheidenes
Projekt - doch immerhin wurde es realisiert. Das Stahltrag-werk bot
Raum für fünf Ebenen, ein weiteres Stockwerk nahm der Sockel
ein. Die Verkleidung des grosszügig durchfensterten, auf acht
Stützen ruhenden Körpers bestand aus Blech, auf dem Reklameschriften
angebracht waren.
In Birkenholz' Projekt kamen verschiedene Anregungen zusammen: die
stereometrischen Entwurfsideen der sogenannten französischen
Revolutionsarchitektur (darunter Boullées Newton-Kenotaph oder
Ledoux' Entwurf für das "Haus des Flurwächters"),
die expressionistisch-utopischen Visionen des frühen 20. Jahrhunderts
und schliesslich Gedanken des russischen Konstruktivismus - nahezu
zeitgleich entwarf Iwan Leonidow sein Lenin- Institut in Kugelform.
Darüber hinaus reihte sich das Dresdner Kugelhaus in die Tradition
architektonischer Follies ein, die grosse Ausstellungen von jeher
prägten.
Auch wenn Birkenholz nicht müde wurde, die Vorzüge der Kugelbauweise
zu preisen, konnte sich der Gedanke nicht durchsetzen. Mag auch der
Winddruck-Koeffizient herabgesetzt sein und die Kugel ein Maximum
an Inhalt bei einem Minimum an Oberfläche bieten, so bereitet
allein die sich von Geschoss zu Geschoss verändernde Raumtiefe
Schwierigkeiten bei der Belichtung. Von aussen unsichtbar, war in
vier der fünf Kugelgeschosse nicht ohne Grund ein Lichthof ausgespart
worden, in den auch ein Liftschacht integriert war. Von den inneren
Umgängen wurden die radial angeordneten Geschäfte und Ausstellungskojen
erschlossen; die oberste Ebene diente als Restaurant.
Die Beliebtheit des Ausstellungsrestaurants war neben voraussehbaren
technischen Schwierigkeiten bei einem Abriss dafür verantwortlich,
dass die ursprünglich auf drei Jahre limitierte Betriebsbewilligung
mehrfach verlängert wurde. Als sich kein Käufer fand, liess
die Stadt das exzeptionelle Gebilde im Frühjahr 1938 abreissen.
Allerdings war das Kugelhaus zuvor von der NS-Presse mehrfach als
"Ausgeburt einer entarteten Technik" diffamiert worden.
1939 galt dem Kunsthistoriker Walter Sedlmayr die Kugelidee als Zeichen
einer "bodenlos gewordenen Baukunst", welcher er das Berliner
Reichssportfeld gegenüber stellte. In Sedlmayrs für das
Kulturverständnis der Nachkriegszeit überaus einflussreichem
Werk "Verlust der Mitte" wird die Denkfigur erneut manifest:
"Wie könnte der <Kosmopolit> (. . .), der heimat-
und bodenlose Zukunftsmensch anders hausen als in der Bodenlosigkeit
des Kugelhauses, dessen Tyrannei er sich (. . .) freiwillig unterwirft.
Beide, <Kosmopolit> und Kugelhaus, sind Geschöpfe derselben
abstrakten Phantasie." Allerdings wäre es verfehlt, Birkenholz
als verfemten Architekten anzusehen - mehrfach unternahm er ohne Erfolg
den Versuch, den neuen Machthabern seine Kugelbauten als Monumente
anzudienen.
Vergessen war Birkenholz' ingeniöses Werk in Dresden niemals
vollständig, und in jüngster Zeit sind es zwei unabhängig
voneinander gegründete Vereine, welche nun als "Projektgruppe
Dresdner Kugelhaus" auftreten, dessen Geschichte erforschen und
sich für eine Rekonstruktion stark machen. "Darf man ein
Haus wieder aufbauen, das seit über 60 Jahren nicht mehr existiert?",
heisst die Frage in der jüngst vorgelegten Broschüre. Nicht
ohne Süffisanz lautet die Antwort: "Die schon legendäre
Dresdner Aufgeschlossenheit für Wiederaufbauprojekte macht uns
die Antwort leicht: Wir dürfen!" Es müssen schliesslich
nicht immer Bauten des Barock sein, die in Dresden neu erstehen."

Ausstellungsgelände (Ausschnitt) 1930
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Das futuristisch utopische Kugelhaus mit experimentellem Charakter,
welches auf der Ausstellung 1928 als "Neuzeitliches Geschäftshaus
und Café" angepriesen wurde, war auf dem Ausstellungsgelände
prominent als Solitär platziert, direkt in der Mittelachse vom alten
Ausstellungspalast hin zum Großen Garten.
Das Kugelhaus ist von der konstruktiven Modernität ein gutes
Beispiel der in den 1920er Jahren erprobten Rationalisierung. In
Gustavsburg bei Mainz von M.A.N. vorgefertigte Stahlteile und
Leichtbau-Blechplatten wurden in Dresden in nur 8 Wochen
zusammenmontiert.
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Golden glänzte
der Barock.
Das 20. Jahrhundert dagegen schimmerte in mattem, kühl-technischen
Silber.

Restaurant in der obersten Etage: Innenarchitekt: Reinhold Ernst
(Dresden) Es wurde auf allen Ebenen Parkett verlegt.
Kugelhaus Inneres, Foto: SLUB - 1928

Lichtschacht (Atrium) und Aufzug in der Mitte des Kugelhauses. Foto: 1928 DBZ,
Vergrößerung
Modell Kugelhaus im Stadtmuseum Dresden

Kugelhaus Grundrisse und Schnitt 1928,
Vergrößerung

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Reklame
Eine Neuheit des Kugelhauses war der großflächige Einsatz
von Werbung als integrativer Teil der Architektur.
Die Verwendung gerader schnörkeloser Typographie
verkörpert symptomatisch den
Einzug klassischer Moderne in die sich wandelnde Großstadt Dresden.
Diese ersetzten mit aufklärerischen Impetus das als überkommen
angesehene Ornament. Selbiges feierte jedoch, frei aufgelöst,
in den 1920/30er Jahren im Art Deco immer noch große Erfolge.
Das Verschwinden des vermeintlich "verbrecherischen" Ornaments
(Adolf Loos) kann in dem Zusammenhang auch als eine Folge des verschärften
kapitalististischen Wettbewerbs um städtische Aufmerksamkeit
gedeutet werden, wo eine Vielzahl von Werbebotschaften auf den Mensch
als "Konsumenten" einstürzt. Dekoratives erscheint
im Stadtraum dann am Ende des 20. Jahrhunderts nur noch als Kapitalismus verherrlichende Reklame an temporären wechselnden
Werbeflächen.
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Silbern glänzte
die Zukunft. Das neue Material der futuristischen Architektur ist
inspiriert von der kühl-glatten Materialität technischer
Geräte.
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7.
Jahresschau deutscher Arbeit
"Die technische Stadt"
Seit 1922 fanden in Dresden die großen Jahresschauen zur deutschen
Arbeit statt, die der deutschen Bevölkerung und natürlich
auch den Ausländern den Stand internationaler Wettbewerbsfähigkeit
deutscher Produkte unter Beweis stellen wollten.
Liste der Dresdner Jahresschauen:
Die erste 1922 (Erden)
die zweite 1923 (Spiel und Sport)
die dritte 1924 (Reise und Mode)
die vierte 1925 (Wohnung und Siedlung)
die fünfte 1926 (Gartenbau)
die sechste 1927 (Papier)
die siebte 1928 (technische Stadt)
die achte 1929 (Reisen und Wandern)
Jene 7. Jahresschau 1928 mit dem Titel "Die technische Stadt"
(3,5 Millionen Besucher!) beschäftigte sich mit
der Frage, wie der wissenschaftliche Fortschritt im Bereich Technik
die moderne Stadt
positiv verändern kann. Unter anderem ging es um Integration neuer
Infrastruktur und Verkehrsmittel in den historischen Stadtkörper bzw.
um gänzlich neue Peripheriestädte. Zum Beispiel wurde ein
Schnellstraßenring um die Stadt vorgestellt, den bereits Hans Poelzig
geplant hatte. Aufsehen erregte u.a. das gezeigte Stahlrahmenhaus der
Stahlbau-GmbH Düsseldorf von Architekt Hans Spiegel, der ein Pionier
des rationalisierten und funktionalen Bauens war.
Im einzelnen
wurden in den Hallen folgende Themengebiete abgedeckt:
Wasserwirtschaft (u.a. Talsperren), Gas, Elektrizität,
Wärmeversorgung, Verkehr (Eisenbahn, Tram und "Kraftfahrwesen"), Post/
Fernmeldetechnik, Feuerschutz, Hoch- und Tiefbau bis hin zu
Müllverwertung und Abfallentsorgung. Unter anderem wurden auch Fragen
von Architektur behandelt (Essay "Die Probleme in unserem heutigen
Bauwesen" im Katalog).
Einen großen Pavillon bespielte die Technische Hochschule Dresden,
die 1928 ihr hundertjähriges Bestehen feierte und intelligente
Antworten auf die Frage, wie die Technik das Leben in den (damals
stark wachsenden) Städten effizienter gestalten konnte, präsentierte.
TH-Ordinarius für Religionswissenschaft
Paul
Tillich sprach z.B. über "Die technische Stadt als Symbol".
Der renomierte Philosoph stellte die Errungenschaften der "Technischen
Stadt" und des verwissenschaftlichten Lebens in den Zusammenhang
der damals hochaktuellen Seinsphilosophie von Heidegger. Die Dresdner
Ausstellung der Technischen Stadt war dann durchaus auch als selbstkritische
Bestandsaufnahme gemeint: "(...) so wäre sie Symbol geworden,
in dem wir uns selbst angeschaut hätten in der Macht und in der
Fragwürdigkeit unseres Seins." (in: Die techn.
Stadt als Symbol, in: Auf der Grenze, Stuttgart 1962)
Um
1930 hatte die Vision des alle Probleme der Großstadt lösenden
Einsatzes von Technik noch ein fast ungebremstes Pathos, obgleich
sich bereits in dieser ersten Moderne-Euphorie eine Vielzahl Künstler
und Intellektuelle mit der Vergötterung der "Maschine"
kritisch auseinandersetzten (z.B. Chaplin "Modern Times")
. Der Mensch und sein Produkt "Stadt" ist eben mehr als
der pure Ablauf von Funktionalität.
Die komplexen Systeme Stadt und Mensch unterliegen stets wechselnden
Interpretationen. So revolutionär z.B. die Dresdner Ikone der
Moderne, der 1930 erschaffene "Gläserne Mensch", in
den offen gelegten Funktionssträngen des Inneren für die
damalige Zeit war, heute erscheint uns jene so stolz vorgetragene
Erkenntnisklarheit über das Wesen des Menschen (und einer gültigen
Ordnung seines städtischen Organismus') seltsam fern.
Übrigens hat sich in Dresden bereits Erlwein 1906 mit der technischen
Stadt in seinen Planungen für einen neuen Schlachthof
im Ostragehege als autarke Insel, als "Stadt in der Stadt"
mit eigenen Gleis-, Straßen- und Wasserhafenanschluß beschäftigt,
die technische Funktionalität der Abläufe allerdings mit
einer regional bezogenen Architektur verbunden.
Ebenfalls rund und ebenfalls 1928 erbaut:
das Wartehäuschen auf dem Postplatz (siehe Bild rechts). Es steht
als Metapher für die technische, verkehrsreiche Stadt der Moderne
im frühen 20. Jahrhundert in Dresden.
Der Postplatz hatte sich nach der Jahrhundertwende zu einem der verkehrsreichsten
Plätze der Stadt entwickelt, auf dem im Schnitt 46 000 Fahrgäste
täglich in Busse und Bahnen um- und einstiegen. Zum Bau dieses
modernen Wartehäuschen wurde der vormals hier stehende Cholerabrunnen
in die Sophienstraße versetzt. Der Volksmund benannte das neue
Warte- (und Toiletten-) häuschen wegen
der runden, haubenförmigen Form
"Käseglocke".
Eine architektonische Wiederholung dieses den Dresdnern ans Herz gewachsenen
schönen Rundbaus mit
der eleganten Dreistufung des Kupferdaches und mit viel Glas zur Südseite
steht am Albertplatz in
der Neustadt.
Links
Webseite
des Vereins Dresdner Kugelhaus e.V., der sich für einen Wiederaufbau
an anderer Stelle engagiert:
www.kugelhaus-dresden.de
(letzter Eintrag 2011)
Literatur:
Georg
Stockmann, Dissertation zu Leben und Werk von Peter Birkenholz, TU
München 2003
Das Kugelhaus auf der Ausstellung "Die
Technische Stadt" in Dresden, In: Konstruktion und Ausführung.
Massiv-, Eisenbeton. Monatsheft zur Deutschen Bauzeitung. Nr. 8,
Berlin August 1928, S.99 - 102
Siebente Jahresschau Deutscher Arbeit
Dresden 1928 Die Technische Stadt;
Ausstellungskatalog (von der SLUB komplett digitalisiert) u.a.
sämtliche am Bau des Kugelhauses beteiligte Firmen und alle im Gebäude
ausstellenden Unternehmen, S. 135-139
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Plakat zur Ausstellung vom Dresdner Grafiker Willy Petzold. Das Jahresschau-Plakat von
1928 vermittelt die Vision einer von Hochhäusern und Verkehr bestimmten
Stadt der Zukunft, eingeschrieben in die stilisierte Form eines Stahlträgers.

Ausschnitt des
Plakates mit Wolken- kratzern, Hochbahnen, Frachtschiffen in Kanälen
und Busverkehr. Im dunklen Nachthimmel zeichnet sich ein gespenstischer,
unrealistisch beleuchteter Wolkenkratzer ab.

Der Stahlhausbau, 1928 (Bauwelt-Verlag)
Vergrößerung

Gläserner Mensch (Foto Deutsches Historisches
Museum - Berlin) in befremdender Gestik von Erhabenheit
- drei Jahre vor Beginn der Katastrophe 1933.

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