Betont heiter

Hans Kinder's Wandbild 1955/ 56 „Poem auf Dresden“
im Treppenaufgang zum „Café Prag“ am Dresdner Altmarkt


Text von Thomas Kantschew (Mai 2023)


Material des Wandbildes: Kasein-Farbe auf Putz
Ort: Dresden Zentrum Altmarkt/ Seestraße 10
„Cafe Prag“ - Eröffnung am 20. Dezember 1956 (Annonce Sächs.Zeitung 17.12.1956)
Sanierung: 2012

Am Altmarkt im Treppenaufgang zum ehemaligen Café Prag hat sich ein Wandbild erhalten, was bisher wenig Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit fand. Dabei erzählt es eine durchaus besondere Geschichte vom Wiederaufbau und vom Selbstverständnis der Stadt Dresden in den 1950er Jahren. Ablesbar ist der schwierige Übergang vom „Sozialistischen Realismus“ in die Nachkriegsmoderne. Zudem regt es an, über das richtige Maß und Verhältnis von baugebundener Kunst und Architektur nachzudenken. Überraschenderweise birgt es auch Humor, Witz und Ironie – etwas was an DDR-Wandbildern nicht all zu oft vorkam.

Auf diesem Wandbild in der Größe 7 x 2,5 Meter breitet sich ein Tableau aus, welches vordergründig als Willkommensgruß gedacht war für einen bevorstehenden ausgelassenen Abend im Café Prag. Mit einer musikalisch-tänzerischen Atmosphäre sollte es den traurigen Anblick von Kriegsruinen und Brachflächen kompensieren helfen.

Der Dresdner Künstler Hans Kinder malte keine politische Agit-Prop-Szene mit Arbeitern und Bäuerinnen, die sich am Abend nach harter Arbeit erholen und vergnügen dürfen.
Er malte eine komplexe, leicht antikisierende Szene, die verstanden werden kann als Allegorie auf Dresden nach dem Krieg, ebenso als optimistische Szene einer Unvergänglichkeit der Dresdner Muse.

Der Titel „Poem auf Dresden“ ist möglicherweise erst im Nachhinein vergeben worden. (1)


Vergabe

Einen Auftrag zur Erstellung von Entwürfen für ein Wandbild im Treppenaufgang Café Prag erging im Mai 1955 vom Rat der Stadt Dresden, Abteilung Kultur (Bildende Kunst) an die beiden Künstler Hans Kinder (1900 – 1986) und Kurt Schütze (1902 – 1971) (2). Für die Ausfertigung von Entwurfsarbeiten werden jedem der beiden Künstler 600 DM gezahlt.
Es handelte sich um eine direkte Vergabe ohne Wettbewerb durch Vorschlag der „Gebiets-Auftragskommission“ für künstlerische Gestaltung von Bauten, deren Vorsitzender Otto Rost war (Stellvertreter: ebenfalls Bildhauer Walter Flemming).
(Brief an „Sehr geehrte Kollegen“ vom 20.05.1955 (3)

Am 03.11.1955 wird Hans Kinder schließlich in einem Werkvertrag beauftragt, Entwürfe in Karton zu fertigen mit Abgabe und Abnahme bis 30.11.1955. Für die Ausführung des Entwurfs auf Karton 1:1 und die direkte Ausführung des Wandbildes + 2 kleine Säulen wird am 24.04.1956 ein zweiter Werkvertrag verfasst mit dem festgesetzten  Fertigstellungstermin des Bildes bis 30.11.1956. (Foto Werkauftrag an Hans Kinder April 1956 Seite 1 u. Seite 2).
Als Bezahlung wird eine Gesamtsumme von: 20 000 DM (4) veranschlagt, die später reduziert wird auf 18 000 DM: 2000 DM für die Entwürfe vom Karton und 16 000 DM für die Ausführung.

Wandbild "Poem aus Dresden" und Treppenaufgang zum Café Prag, Postkarte 1962
Treppenhaus Café Prag und Wandbild, Postkarte 1962 (Vergrößerung Wandbild)


   1)  Der Titel taucht auf in: Simone Simpson: Zwischen Kulturauftrag und künstlerischer Autonomie: Dresdner Plastik der 1950er und 1960er, Köln 2008, S. 222.

2)  Der Anteil von Kurt Schütze am Wandbild-Entwurf konnte bisher nicht ermittelt werden. Es bleibt unklar, ob eine Kollektivarbeit angestrebt war oder jeder Künstler eigene Entwürfe fertigte.

3)  SLUB, Spezialkatalog Nachlaß Hans Kinder , Signatur:: Mscr.Dresd.App.2629 / 260

4)  Entwurfsbüro für Hochbau Dresden I, Niederschrift über Besprechung am 19.10.1955 betr.: Altmarkt Westseite, Bauabschnitt II (Café) realistische Kunst. SLUB, Spezialkatalog Nachlaß Hans Kinder , Signatur: Mscr.Dresd.App.2629 / 261 (2) - Foto Seite 1 und Seite 2
"Anwesend: Herr Otto Rost - Vorsitzender Gebiets-Auftragskommission" (Bezirk Dresden)



Das Wandbild


Dargestellt ist auf der gesamten Breite der Wand einschließlich einem Teil der Decke: eine geflügelte weibliche Gottheit mit einem Kranz in der Hand, dem sie offenbar im Begriff ist, einem heldenhaften jungen nackten Mann auf einem sitzenden Esel zu überreichen, während gegenüber auf der linken Seite eine bekleidete Frau mit Kind der Göttin grüßend etwas zuzurufen scheint.
In der Bildmitte sieht man eine abstrahierte Landschaft mit Fluss, Berghöhen und einer Brücke, auf der drei Frauen in wallenden Gewändern am Horizont tanzen.

langes Format des Wandbildes "Poem auf Dresden" von 1955/56
Wandbild "Poem auf Dresden " von Hans Kinder – Zustand 2023,
Foto: Thomas Kantschew, Vergrößerung

Es gibt leider keine überlieferte Erklärung mehr, was Hans Kinder mit dieser Szene eigentlich sagen wollte. Es gibt nur den Titel „Poem auf Dresden“. Projektleiterin der „Genossenschaft Kunst am Bau“ in Dresden Antje Kirsch interpretierte das Wandbild als: „eine Gruppe Männer und Frauen, die der Göttin des Sieges, die mit Lorbeerkranz über den ausgelassen Feiernden vorüberzieht, huldigen.“ (5)

Die Frage ist: wer ist die Göttin, wer ist der junge Mann auf dem Esel reitend?

Tatsächlich, zuerst könnte dem Betrachter die griechische Siegesgöttin Nike einfallen, die einem Sieger einen Lorbeerkranz überreicht. Dieser greift ausgelassen und siegesgewiss nach dem Kranz (ohne ihn wirklich zu greifen). Wen hätte der Mann jedoch besiegt – in einem Wettstreit, in einer Auseinandersetzung - nach diesem schrecklichen Weltkrieg?
Dazu: warum reitet er auf einem sitzenden Esel, eine Assoziation zu „Bacchus auf einem trunkenen Esel reitend“, einer bronzenen Figurengruppe vor dem Dresdner Rathauskeller von Georg Wrba 1910?

Eine andere mögliche Interpretation wäre: es ist nicht Nike, sondern Fama, die Göttin des Ruhms (allerdings auch des Gerüchts). Die Fama wäre in der Kunst und Architektur Dresdens durchaus bekannt, thront sie doch seit Jahrzehnten und wie durch eine Wunder unbeschadet auf der Glaskuppel („Zitronenpresse“) der Kunstakademie auf der Brühlschen Terrasse. Sie hält neben einer Posaune (Symbol des Verkündigens) ebenfalls einen Kranz in der Hand. Viele Dresdner kennen diese heitere, auf einer Goldkugel tanzend schwebende Figur mit Flügeln. Hans Kinder hat zudem an der Kunstakademie in Dresden von 1925 – 1932 studiert, sozusagen direkt unter der Fama.
1932 schloss er sein Studium im Fach Wandmalerei bei Prof. Max Feldbauer ab!


Schwebende Göttin des Künstlerruhmes auf der Kuppel der Dresdner Kunstakademie an der Brühlschen Terrasse
Fama auf der gläsernen Kuppel der Kunstakademie (Volksmund: Zitronenpresse)
 1891-93 von Robert Henze, Foto: Thomas Kantschew 2023


Eine naheliegende Erklärung wäre dann: Fama und Esel sind Anspielungen auf konkrete Dresdner Kunstwerke, die allgemein bekannt waren. Hans Kinder würde mit dem Reiter auf dem Esel an Themen anknüpfen, die bereits Wrba in seiner Figurengruppe verwendete: Humor, Einstimmung auf Geselligkeit (im Ratskeller), Trunkenheit und fröhliche Ausgelassenheit.


Bronzekunstwerk von Wrba 1910 vor dem Rathauskeller in Dresden
Bronzekunstwerk Bacchus und trunkener Esel von 1910 - hier wieder vor
 dem alten Rathauskeller-Eingang (6), Foto: Thomas Kantschew 2023


Auch die Andeutung einer Flusslandschaft mit Brücke ist ein Verweis auf den geschwungenen Elbverlauf und dessen Hänge im Dresdner Elbtal. Im Titel des Wandbildes „Poem auf Dresden“ wird zudem bereits darauf hingewiesen, dass es speziell um Dresden geht. Die Stadt, auch das spielte eine Rolle, feierte 1956 ihr 750-Jubiläum.

Ironie und Humor begleiten diese spielerische amüsante Wandbild-Szene im Treppenhaus am Altmarkt. Erkennbar sind Weinblätter, Waldszenen und ein lustiger kleiner Kentaur, erinnernd an antike dionysische Feste oder barocke hedonistische Feierlichkeiten.
Gar nicht komisch allerdings ist der zerbrochene Putto und ein ruinöses Kapitell am Boden - Assoziationen auf die zerstörte Stadt. Dies allerdings ist in dieser Darstellung nur nebenbei erzählt. Wichtig ist die fröhlich beschwingte Szene einer vorbei fliegenden Göttin mit Kranz in der Hand und darunter ein jugendlicher aufstrebender Held, der stellvertretend für den Kunstsinn der Bewohner Dresdens steht.

Zentrale Szene im Wandbild: der eselreitende Held greift nach dem Ruhmeskranz der Fama.
Bekommt er den Kranz?     Zentrale Szene im Wandbild "Poem auf Dresden".
Foto: Thomas Kantschew 2023, Vergrößerung

Im Übermut, im Überschwang greift er nach dem Ruhmes-Kranz der Fama, die gerade vorüberfliegt und ihm den Kranz schwenkend vor Augen hält. Er schnappt nach ihm, ohne ihn greifen zu können. Mit der anderen Hand signalisiert er in einer Geste, dass ihm der Kranz doch ohne Frage zustehe.(7) Eine scherzhafte Szene als Einstimmung auf Geselligkeit und Feiern (ohne an Krieg und Not zu denken) und darüber hinaus vor allem eine Aufforderung, an den Ruhm der Kunststadt Dresden wieder anzuknüpfen - nach Jahren der Düsternis und Diffamierung von sogenannter "entarteter Kunst".

Ausschnitt aus dem Wandbild von Hans Kinder im Treppenaufgang zum Cafe Prag (linke untere Bildhälfte)
Rufende Frau (in der linken Bildhälfte des Wandbildes), Foto 2023: Thomas Kantschew,
Vergrößerung

Ebenso das Pendant auf der linken Seite mit den Musikerinnen und der Frauenfigur: sie würde nach dieser Lesart der Fama-Göttin laut zurufen, um deren Aufmerksamkeit (und damit natürlich die Beachtung der internationalen Kunstwelt) zu erlangen.

In einer zweiten Ebene ergibt sich allerdings auch neue Ironie: das großspurige Auftreten des jungen heroischen Mannes konterkariert ja mit subversiven Humor das selbstgewisse Aufbaupathos am Altmarkt, da es nicht klar ist, ob der eselreitende Held den Künstlerruhm der Fama wirklich erlangt. Es bleibt eine offene Frage.


Wir wissen leider (bisher) nicht im Detail, was der damals 55-jährige Hans Kinder für Intentionen bei der Konzeption zum Wandbild hatte, ob er völlig frei in der Bildgestaltung war. Was wir wissen, ist, dass sein Karton zum geplanten Wandbild am 01. August 1956 von Prof. Reinhold Langner abgenommen wurde – in Anwesenheit des (Wand-)Malers Kurt Schütze (Foto: Brief an Kinder vom 28.07.1956). Darüber hinaus ist seine Intention in der Bildkomposition durch eine überlieferte Skizze vom Nov. 1955 bekannt:

Erste Ideenskizze von Hans Kinder zum geplanten Wandbild im Treppenaufgang zum Cafe Prag am Altmarkt in Dresden
Sie zeigt in wenigen Strichen das Treppenhaus, wie der Besucher auf den Treppen (angedeutet durch eine Wellenlinie) empor geht und dann auf dem Wendepodest über dem dreiteiligen Fenster das Wandbild erblickt, welches wieder dreiteilig aufgebaut ist mit drei strahlenartigen Achsen, in deren Mitte sich ein dynamisches Geschehen abspielen soll. Rechts in der 2. Skizze ist eine Brücke mit zwei Pfeilern zu sehen. (8)


  5)  Antje Kirsch: Dresden. Kunst im Stadtraum. Architekturbezogene Kunst 1945-1989, Dresden 2015, S.96

6)
  Die teilzerstörte Figurengruppe „Bacchus auf dem trunkenen Esel reitend“ wurde 1956 frisch restauriert am neuen Südeingang des Dresdner Ratskellers aufgestellt, war also wieder im öffentlichen Raum zu sehen.

7)  Zieht man in Betracht, dass Hans Kinder 1954 die Kunst des Pantomimen Marcel Marceau schätzen lernte und die „von herausragender Bedeutung für das Schaffen Hans Kinders war“, käme den gemalten Gesten im hier besprochenen Wandbild ein besonderer Sinn zu. Siehe: Barbara Baerthold: Zur Arbeit am Werkverzeichnis. In: Hans Kinder. Malerei und Zeichnung. MCM Art Verlag, Berlin 2000, S. 22. „Marceaus pantomimische Abstraktion führte Kinder durch intensive Beschäftigungen mit Bewegungsabläufen und deren Abstraktion zu einer Reduzierung und zunehmenden Abstraktion im eigenen Werk.“ (Wikipedia: H.Kinder)

8)  SLUB, Spezialkatalog Nachlaß Hans Kinder , Signatur: Mscr.Dresd.App.2629 / 264



 
Die Treppe: Zusammenspiel von Architektur und Kunst

Der gesteigerte Raumeindruck beim langsamen Hochgehen im Treppenhaus wird kunstvoll inszeniert. Dabei geht die Innenarchitektur mit dem Wandkunstwerk ein gemeinsames Zusammenspiel ein. Der Weg zur Beletage und damit zum Restaurant- und Konzertcafé führt über eine besondere Treppe.

Symmetrische Treppe im Aufgang zum Cafe Prag am Altmarkt Dresden
Treppen zum Café Prag, Foto 2023 Thomas Kantschew, Vergrößerung

Diese klassische Treppe von Johannes Rascher wurde als Reminiszenz an barocke Treppen errichtet. Sie ist komplett symmetrisch und als gegenläufige Treppe ein Zitat von barocken Treppenhäusern in Dresden (u.a. Treppe im Japanischen Palais), aber natürlich auch ein Kind ihrer Zeit.

Symmetrische gegenläufige Barocktreppe im Foyer des Japanischen Palais Dresden Neustadt
Japanisches Palais Dresden Neustadt Treppe, Foto 2023 Thomas Kantschew


Einarmig in der Mitte des Vestibüls beginnend, führt sie zum Wendepodest, wo sie sich in zwei Arme gegenläufig spaltet und im Hauptgeschoss endet, in dem sich das Tanzcafe Prag befindet. Dieser sehr großzügige Saal erinnert in seinen Ausmaßen und in seiner Höhe eher an einen Festsaal. Beim Emporschreiten der Treppe erblickt man das Wandbild von Kinder als besonderen Höhepunkt einer Inszenierung von Festkultur im Gewand eines sozialistische Gemeinschaftserlebnisses.


Aufgang zum Cafe und künstlerischer Höhepunkt des Treppenhauses von 1956
Aufgang zum Wandbild - durch den Einbau der Spielbank in seiner
Wirkung geschmälert, Foto 2023 Thomas Kantschew


Unterstützend wirken die geschwungenen, swingenden Linien der Decke im typischen gekurvten 1950er Jahre-Design. Optisch stärkt den besonderen Raumklang zusätzlich eine doppelte Deckenlichtführung.
Sehr kunstvoll antwortet das Wandbild nun bereits im Deckenbereich auf diese feine Inszenierung mit einer parallel geschwungenen oberen Bildkante, die quasi als „Himmel“ Ort der fliegenden Fama ist. Nach einem eleganten Übergang in Form einer gewölbten Voute (Deckenkehle) spielt sich im senkrechten Wandbereich das irdische Geschehen in einer anmutigen Landschaft ab.

Lichtarchitektur und Wandbild im Zusammenspiel der fließenden geschwungenen Linien
Wandbild mit Voute und geschwungener Lichtdecke. Foto: 2023 Thomas Kantschew


Diese swingende Innenarchitektur in der Treppenhalle und die korrespondierenden Formen des Wandbildes lassen erkennen, dass Rascher und Kinder die Anordnung im Treppenhaus gestalterisch miteinander abgestimmt haben. Ein Dokument belegt das mit der Bitte an Kinder, seine Entwürfe für das Wandbild mit Rascher abzusprechen. (Schreiben vom 20.05.1955 an Kinder und Kurt Schütze vom Rat der Stadt Dresden)


Das Haus   (II. Bauabschnitt Altmarkt / Seestraße / Külzring)

Noch ein kurzes Wort zum Gebäudeteil des „Café Prag“: es gehört zur Westseite des neuen Altmarktes, geplant von Johannes Rascher, Chefarchitekt Entwurfsbüro für Hochbau Dresden I. Der I. Bauabschnitt wurde am Altmarkt beginnend von der Wilsdruffer Str. (ehemals Ernst-Thälmann-Straße) 1953-55 errichtet. Das sich daran anschließende Architekturbauteil des „Café Prag“ schiebt sich exponiert aus dem extrem langen Baublock Altmarkt/Seestraße knapp 10 Meter aus der Reihe heraus. Neben der städtebaulichen Akzentuierung war dieser „Kopfbau“ in der ursprünglichen Planung eigentlich als Bezugspunkt geplant, in dessen Höhe dann die Altmarkt-Südseite anschließen sollte. Dazu ist es während der gesamten DDR-Zeit nicht mehr gekommen.

Zeichnung 1953 Herbert Schneider Altmarkt (links im Bild: Café Prag)
Zeichnung 1953 Herbert Schneider Altmarkt (links im Bild: Café Prag),
Institut für Denkmalpflege Sachsen

Insgesamt fällt dieses Gebäudeteil am Beginn des II. Bauabschnittes eher durch ruhige Sachlichkeit angenehm auf, im Vergleich zum üppigen Neobarock vom „Haus Altmarkt“ auf der Ostseite des Platzes von Herbert Schneider. Die Monumentalität wird durch sorgfältig komponierte Proportionen abgemildert. Auch die architektonische Gestaltung des Eingangs zum Café Prag zur Seestraße lässt mit dem geschwungenen schwarzen Marmor, der Lichtarchitekturdecke und der Mosaik-Säule mit Reihern erstaunlich moderne Elemente erkennen. Ein Gebäude mit Haltung, nicht spektakulär, sondern zurückhaltend in seinem Bauschmuck, dennoch selbstbewusst großstädtisch.

Architektur Seestraße, Bauteil Cafe Prag und Altmarkt 1957
Architektur Seestraße, Bauteil Cafe Prag und Altmarkt 1957, Deutsche Fotothek


Wie das Treppenhaus im Inneren ist auch die Fassade streng symmetrisch, eine leichte Staffelung bringt Auflockerung in den exponiert-hervorgehobenen Baukörper.
Die Raumhöhe des Tanzcafés mit ehemals 428 Plätzen ist verschwenderisch hoch, die immens großen Fenster lassen eine Fülle von Licht in den Saal. Bis nach 1999 war der Blick zum Altmarkt unverstellt, also die Exklusivität nicht geschmälert.

Das Verhältnis vom baubezogener Kunst und Architektur fällt in diesem II. Bauabschnitt ruhiger und maßvoller aus als in der ursprünglichen Altmarkt-Planung 1952/53 anvisiert. Die neuen Bauten am repräsentativen „zentralen Platz“ sollten in diesen frühen Aufbaujahren eine besonders hohe künstlerische bzw. kunsthandwerkliche Ausgestaltung bekommen, die die weiterführende Tradition der Elbmetropole als einer bedeutenden Kunststadt widerspiegeln sollte. (9) Viel Architekturschmuck, viel Kunst am Bau, die einer (vermeintlich) reduzierten tendenziell schmucklosen Moderne ein Kontra geben sollte. Aber auch in der Bundesrepublik wurden per Gesetz ab 1953 1-2% der Bausumme bei Bundesbauten für Werke bildender Künstler ausgegeben. (10)


  9)  Herbert Schneider: „Wir Architekten haben versucht, den Zauber der alten, schönen historischen Bauwerke in unseren neuen Bauten aufklingen zu lassen. Wir haben uns bemüht, vom Studium der alten Dresdner Bautradition mit ihrer Sandsteinverarbeitung ausgehend, einen neuen Ausdruck zu finden. In gemeinsamer Arbeit mit den bildenden Künstlern schaffen wir Gebäude, die mit ihrem farbigen Schmuck an Schlußsteinen und Erkern und mit ihren goldenen Gittern Lebenskraft und Lebensfreude ausstrahlen.“ - propagandistisches Statement in: Max Seydewitz: Zerstörung und Wiederaufbau von Dresden“, Berlin 1955. S. 355
Hans Nadler, Leider des Institutes für Denkmalpflege Dresden, plädierte dafür, das der Altmarkt „als zentraler Festsaal der Stadt unter freiem Himmel eine architektonische Kostbarkeit werden sollte.“ Hans Nadler: Vom alten und neuen Dresden, in: Bildende Kunst. Zeitschrift für Malerei, Plastik, Grafik, Kunsthandwerk und Volkskunst, 1956 Nr. 5

10)  Ein Beispiel aus dem ehem. Westberlin: in Moabit befindet sich ein Anbau der  Verwaltungsakademie mit dem figurativen Mosaik zur Olympiade 1960 von der Firma August Wagner, vereinigte Werkstätten für Mosaik und Glasmalerei. Diese Kunst am Bau der damaligen Grundschule stammt  aus dem Jahr 1961/62. Auch hier spielt ein (Sieges-) Kranz eine Rolle.  Der Entwurf für das Mosaik stammt vom Prof. Horst Strempel (1904-1975), einem Künstler, der 1953 von Ost- nach Westberlin geflohen war.
Infos zur NS-Vergangenheit der Firma: https://de.wikipedia.org/wiki/Puhl_%26_Wagner
(Archiv der Firma in der Berlinischen Galerie)


Baugebundene Kunst im Wandmosaik von Horst Strempel
Entwurf: Horst Strempel 1961 für eine ehm. Grundschule mit neuer Turnhalle
Foto:   Thomas Kantschew  2022



Entstalinisierung und Aufbruch

Im Zuge der beginnenden Entstalinisierung sind dann aber doch sowohl in der Architektur als auch in der bildenden Kunst Veränderungen möglich. Hans Kinders Malstil im Wandbild 1955/56 weist mutige moderne Akzente auf. Kubistische Einflüsse von Picasso sind unverkennbar, Kinder traf ihn während des Krieges in Paris 1942 persönlich.(11) Dieser modernere Ansatz mit leichter Abstraktion ist doch bemerkenswert, weil sonst am neuen Altmarkt bisher viel proklamierter "sozialistischer Realismus" zum Einsatz kam.
Zum Vergleich: das "Haus Altmarkt" auf der Ostseite des Platzes, eröffnet einen Tag vor dem Café Prag am 19.12.1956, prunkt mit hohem Säulenportal und schweren statuarischen Sandsteinfiguren vom NS-Karrieristen Otto Rost. Foto 2013 TK
Bei Hans Kinder gibt es nichts Starres, stattdessen Schwingungen, Bewegung und Gelöstheit.
Im sogenannten Formalismusstreit verlor in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre der ideologisch geführte Kampf gegen Westkunst dann etwas an Schärfe. Aber es brauchte Courage neue Formen anzuwenden. Selbst im Entwurfsprozess Kinders kann man den Sprung vom realistischen Körperbild hin zur freieren Gestaltung im fertigen Wandbild beobachten:

Entwurfsskizze von Hans Kinder zum linken unteren Bildteil des Wandbildes
Entwurfsskizze Kinders zum linken unteren Bildteil


Dr. Claudia Büttner (München) schrieb 2011 für das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung eine Zusammenfassung der "Geschichte der Kunst am Bau in Deutschland".
Im Kapitel „Kunst am Bau der 50er Jahre in der DDR“ heißt es:
„Wichtig für die Wandbilder ist die formal korrekte und inhaltlich der Staatsideologie angepasste Ausführung der Werke. Nicht die Originalität oder die Bildidee werden gewürdigt, abweichende formale Innovationen sind unerwünscht. Die Einbindung der künstlerischen Werke in die architektonische Konzeption bleibt in den 50er Jahren weiter ungelöst.“

Dieser Einschätzung muss im konkreten Fall von Kinders Dresdner Wandbild heftig widersprochen werden. Sowohl in der Bildidee, die wahrlich keine „realistische“ Szene darstellt, als auch in der formalen Ausführung, wie in der Einbindung in die Architektur geht Hans Kinder ganz andere Wege als der apodiktisch als Dogma beschriebene Kunstauftragsprozess von Frau Büttner.

Ein weiterer Aspekt soll dieses bessere Zusammenspiel von Architektur und Wandbild beleuchten.
1955 war ein wichtiges Jahr in Dresden in Bezug auf die Wiederaufnahme von Wandmalerei in der akademischen Ausbildung. Professor Heinz Lohmar hatte in diesem Jahr die Fachrichtung Wandmalerei in der Hochschule für Bildende Künste Dresden (Akademie) neu eingerichtet. Lohmar gab in seiner erhaltenen Eröffnungsrede zu Gründung der Klasse Wandmalerei über das Verhältnis von Raum, Architektur und Wandbild grundsätzliche Hinweise:

„Die Bestimmung und Bedeutung des Bauwerkes, wofür der Architekt den Raum gestaltet, findet in der Malerei den bildnerischen Ausdruck. In Inhalt und Form muss sich hier die gesamte geistige Konzeption des Bauwerkes und seines Zweckes bildhaft kristallisieren.
Der Künstler, der ein Wandbild schaffen will, muss also schon bei der Ideenskizze den Raum, für den das Bild zu schaffen ist, mit einbeziehen. Von der Raumhöhe und Tiefe ist die Tiefenstaffelung eines Wandbildes abhängig. Im Idealfall verbindet sich die Perspektive harmonisch mit den Schnittwinkeln der Architektur. So übersetzt der Maler die Sprache der Architektur in die Sprache der Malerei. Die Größe der dargestellten Figuren besteht selbst wenn sie überdimensional ist, in einem guten Verhältnis zur Architektur und zu dem lebendigen Mensch, der sich in dem Raume aufhält. Sie muss immer sinnvoll, darf niemals unnatürlich werden. Eben so wenig wie eine realistische Darstellung so illusionistisch sein kann, dass sie die Gesetzmäßigkeit der Wand vollkommen ignoriert.“ (12)

Wie oben im Kapitel „Treppe“ dargelegten Ausführungen ist es in diesem Fall von Kinders Wandbild außerordentlich gut gelungen, eine harmonische Einheit von Innenarchitektur und Wandkunstwerk zu erreichen.

Andere Wandbilder der Zeit gehen nicht unbedingt solch ein vorteilhaftes Zusammenspiel mit der Architektur ein, wie z.B. die Wandmalerei „Erziehung des Menschen zum Staatsbewußtsein / Wilhelm Pieck spricht zu den Studenten“ an der Technischen Universität Dresden. Alfred Hesse und Erich Gerlach malten das monumentale Propaganda-Bild 1954 (21 × 5 / 8 m) im jetzigen Gerhart-Potthoff-Bau.

Wandbild TU Dresden (Ausschnitt): Wilhelm Pieck spricht zu den Studenten. Von Alfred Hesse und Erich Gerlach 1954
Wandbild TU Dresden (Ausschnitt), Foto: Thomas Kantschew 2017, Vergrößerung


  11)  Vgl.: Anna-Carola Krausse: Andere Horizonte. Ostdeutsche Nachkriegsmoderne im Schatten des Sozialistischen Realismus, Deutscher Kunstverlag 2021
ACK beschreibt in ihrem Kapitel zu Hans Kinder "Reflexionen über Zeit und Raum", dass neben Picasso auch andere Kubisten (Georges Braque u. Juan Gris) der 1920er Jahre starken Einfluss auf Kinder ausübten. Ebenso legen seine vielfältigen theoretischen Schriften Zeugnis über die "tiefe Verwurzelung des Künstlers in die Moderne des 20. Jahrhunderts" ab.

12)  
 SLUB, Spezialkatalog Nachlaß Heinz Lohrmar, Signatur - Mscr.Dresd.App.2001 (49)
"Zur Eröffnung der Klasse der Wandmalerei an unserer Hochschule"



Wandbilder am Altmarkt Westseite

Am Altmarkt hatte Kinder kurz zuvor (1954) bereits einen Auftrag für die Ausgestaltung einer Wandfläche eines Uhren-und Schmuckgeschäftes bekommen und ausgeführt. Darüber hinaus gab es zwei weitere Aufträge innerhalb von Wettbewerben: einen für Entwürfe für ein Wandbild im Café Prag selbst. An diesem begrenzten Wettbewerb nahmen neben Kinder vier andere eingeladene Dresdner Künstler teil, darunter auch der später sehr berühmt werdende junge Gerhard Richter (13). Die anderen drei waren: Gerd Jäger, Rudolf Sitte und Gerhard Kettner. Möglicherweise gab es im Hintergrund von den jüngeren Künstlern Diskussionen, warum es für das Kinder-Wandbild keinen Wettbewerb gegeben hatte. Alle fünf Künstler wurden gebeten, am 05.12.1957 im Büro des Architekten ihre fertig gestellten Entwürfe der Auftragskommission vorzulegen (Vorlage). Leider ist (bisher) keiner dieser Entwürfe bekannt geworden.

Brief Gerhard Richter an Hans Kinder vom 30.09.1957 mit der Bitte zu einer gemeinsamen Besprechung. (Richter wusste offenbar hier noch nicht, dass auch Kinder am Wettbewerb beteiligt war.) (14)

Werkvertrag mit Kinder vom 18.10.1957 (Seite 1) und Seite 2

Zudem sollte Kinder Wandbild-Entwürfe für das Ring-Café am Külzring fertigen (im Wettbewerb mit den selben genannten Künstlern, aber ohne Gerhard Richter). Beide Aufträge kamen aus bisher unbekannten Gründen nicht zur Ausführung. Möglicherweise waren die Bauten am Altmarkt insgesamt zu teuer geworden oder der Zeitgeschmack hatte sich geändert oder Prioritäten wurden anders gesetzt: mehr industrieller Wohnungsbau, weniger Kunst (15). Ein Wandbild jedoch kam noch zur Ausführung im Bauteil Café Prag – in der Mokkastube von Schütz(e). Dieses Kunstwerk mit der Darstellung exotischer Frauen in paradiesischer Landschaft verschwand in den Wendejahren während der Umwandlung zu einem Ladengeschäft spurlos. Das Gebäudeteil Café Prag (Altmarkt / Seestr. 10) steht erst seit 2003 unter Denkmalschutz.


Wandbild Dresden Cafe Prag - Mokkastube - Größe ca. 8 qm von Schütz(e)
Wandbild Dresden Cafe Prag - Mokkastube - Größe ca. 8 qm, Foto: Deutsche Fotothek 1957 (Ausschnitt)

Hans Kinder hatte sich bereits 1949 zur II. Deutschen Kunstausstellung in Dresden mit dem Wandbild „Tanz“ innerhalb der sogenannten Wandbildaktion (allein) beteiligt. In der damaligen Nordhalle, dem jetzigen Bundeswehrmuseum wurden Wandbilder von mehreren Künstlerkollektiven ausgestellt. Auch dieses Wandbild „Tanz“ in der Cafeteria der Ausstellung reflektierte sehr bewegt und vital eher die künstlerische Ebene der Stadt (Wigmann, Palucca) als Szenen im Produktionssektor. (16)

Wandbild "Tanz" von Hans Kinder in der Cafeteria der II. Deutschen Kunstausstellung in Dresden 1949
Wandbild "Tanz" von Hans Kinder in der Cafeteria der II. Deutschen Kunstausstellung in Dresden 1949, Foto: Deutsche Fotothek

Weitere Infos: https://de.wikipedia.org/wiki/Wandbildaktion_(1949)


  13)  Gerhard Richter malte bei Prof. Lohmar als Diplomarbeit seines Kunststudiums in Dresden das Wandbild „Lebensfreude“ im Deutschen Hygiene Museum 1956, welches später überstrichen wurde.  Im Sommer 1959 besuchte Richter die documenta II in Kassel. Knapp zwei Jahre später verließ er im März 1961 die DDR.

14)  SLUB, Spezialkatalog Nachlaß Hans Kinder, Brief Gerhard Richter an Kinder, Signatur: Mscr.Dresd.App.2629 / 270

15)  Vgl. Toni Salomon: Bauen nach Stalin. Architektur und Städtebau der DDR im Prozess der Entstalinisierung 1954- 1960, Berlin/ Tübingen 2016

16)  Vgl.: Peter Guth: Wände der Verheißung. Zur Geschichte der architekturbezogenen Kunst in der DDR, Leipzig 1995, S. 86-93.


Deutsche Künstler im und nach dem Weltkrieg

Hans Kinder war, wie aus seiner Biographie (17) zu entnehmen ist, bis 1939 (!) freischaffender Wandmaler, danach vom zweiten Kriegstag 1939 an Soldat der deutschen Wehrmacht, nicht in der Sowjetunion, sondern in Frankreich (u.a. Toulon) (18) und später in englischer Gefangenschaft. Nach Aussagen seines jüngeren Malerfreundes Zickelbein war Kinder sogar Wehrmachtsoffizier.(19)

Kinder ging nach der Entlassung zurück nach Dresden - in die sowjetische Besatzungszone, zu seiner Familie. Er wird die ausgelassene Varieté- und Kaffeehausstimmungen Dresdens vor dem deutschen Angriffskrieg 1939 gekannt haben, er war ein jungen Mann damals. Ein Gemälde von Akademieprofessor Otto Dix z.B., gemalt 1927/28 in Dresden, illustriert die schrille Vergnügungssucht und das Verdrängen nach den Schrecken des I. Weltkrieges in deutschen Großstädten, auch mit heimkehrenden Frontsoldaten:

Gemälde von Otto Dix: "Großstadt" (Triptychon), 1927/28
Otto Dix: "Großstadt" (Triptychon), 1927/28, Kunstmuseum Stuttgart

Aber nach dem II. Weltkrieg und dem massiven politischen Umbruch nach Gründung der DDR war von der SED in den gesellschaftlichen Kunstdebatten keine wirkliche Auseinandersetzung mit der Nazi-Vergangenheit erwünscht, auch von den meisten Künstlern selbst nicht, sieht man von Hans und Lea Grundig ab. (20)
An den repräsentativen monumentalen Altmarktgebäuden sollten demonstrative Aufbruchssignale einer neuen besseren Gesellschaftsordnung gesendet werden. Umgesetzt wurde von Hans Kinder jedoch keine politische Phrase, sondern im Thema wie im malerischen Umgang einer tendenziell abstrahierten Umsetzung spiegelt sich eine betont heitere Szene, die in der Mitte der 1950er Jahre in der Wandbildkunst der DDR/BRD eine Besonderheit darstellt. Heiterkeit als Bewältigung des Weltkriegsschreckens, wo eigene Schuld verdrängt wird, dafür in erster Linie eine Aufbruchdynamik mit metaphorischen Bildern erzeugt werden soll.


Die Beschäftigung mit ostdeutscher Wandmalerei hat zum Glück in den letzten Jahren vermehrt Aufmerksamkeit bekommen – nach Jahren der Ignoranz. Allerorten werden nun Wandbilder restauriert, unter Denkmalschutz gestellt oder überhaupt wieder frei gelegt, wie z.B. das Wandbild in Magdeburg im ehemaligen Restaurant „Stadt Prag“, wo der Künstler Manfred Kandt dörfliche Weinernte-Szenen im gleichen Jahr 1955 darstellte. Dieses Kunstwerk wurde erst 2022 hinter einer Gipswand wieder entdeckt und soll nun restauriert werden. Infos dazu auf: www.mdr.de



  17)  https://digital.slub-dresden.de/werkansicht/dlf/23838/4
      www.geschichtsverein-kaitz.de/htm/kunst_kinder.php

18)  Kinder malte um 1942/43 das Bild „Nach dem Gefecht im Hafen von Toulon“ (Dt. Fotothek + Kupferstichkabinett), Hintergründe zur Selbstversenkung der französischen Vichy-Flotte im November 1942 in Toulon:
https://de.wikipedia.org/wiki/Selbstversenkung_der_Vichy-Flotte

19)  Anna-Carola Krausse, a.a.O., S. 311, Anmerkung 124

20)  Brief von Hans Grundig am 7. Oktober 1946 aus Dresden an Lea Grundig in Palästina:
"Die Probleme der Kunsterziehung, der bildenden Kunst überhaupt, wenden sich zur positiven Lebensbejahung. Siehst Du die Trümmer hier, die verstörten Menschen, wird Dir das verständlich sein. Die Menschen […] brauchen eine Auflockerung und Bestätigung. Leider kann ich es ihnen im Moment noch nicht geben, aus verständlichen Gründen, denn mein Leben war Kampf gegen jene Barbarei des Faschismus. In jener Zeit malten die meisten Blumensträuße und gepflegte Landschaften. Man nimmt ihnen ihre Haltung von früher nicht übel, und heute schätzt man sie mehr als mich. Es ist mein Los, allein zu sein."




Restaurierung und Rezeption

Das Dresdner Altmarkt-Wandbild von Hans Kinder wurde in der Wendezeit der 1990er Jahre von einem italienischen Betreiber mit einem neuen Bild zugehangen.
Die Architekten Kretschmar + Dr. Borchers fanden das Kinder-Wandbild damals in stark zerstörtem Zustand nach Entfernung einer Deckfolie auf Lattung vor (Foto), was der vorhergehende Betreiber der Gaststätte (Pizzeria) angebracht hatte. Durch alte Fotografien und Farbanalysen erfolgte dann ab 2010 die Restaurierung durch Frau Bothe Stadelmann. Der gesamte Treppenaufgang, wie das „Café Prag“ selbst, wurden ebenfalls nach denkmalpflegerischen Kriterien sorgfältig restauriert (Auftraggeber Patrizia AG).
Das Restaurant-und Tanzcafé  allerdings ist später nach dem Konkurs einer neu etablierten Markthalle mit Streetfood nicht mehr öffentlich zugänglich und dient seit geraumer Zeit einer Software-Firma als Büroraum. (Neuer Eigentümer der "Landmark Propertie" Altmarkt Karree ab 2021: "Deutsche Investment").

Seit 2013 ist das Wandbild „Poem auf Dresden“ wieder frei zugänglich im Treppenaufgang zu sehen, auch wenn es mittlerweile nur den Eingang zu einer Spielbank etwas spöttisch kommentiert. Dieses gerettete Kunstwerk erzählt ebenso Geschichte über Dresden, wie es auch andere große Wand- und Deckenbilder in der Elbmetropole tun (originale wie rekonstruierte). Es stellt ein wichtiges Zeitzeugnis nach dem Krieg dar und wirft Fragen auf, die durchaus in der Gegenwart von Interesse sein könnten. Es sollte mehr Würdigung erfahren. Auch die Beschäftigung mit Hans Kinders bisher kaum bekannten abstrakt-figürlichen Bildern der 1960er bis 1980er wäre durchaus lohnenswert. Der bisher unterschätzte Dresdner Künstler könnte so endlich aus dem Schatten des Sozialistischen Realismus heraustreten.
 



Text: Thomas Kantschew - 12. Mai 2023


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