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Architekten: Meinhard von
Gerkan, Volkwin Marg / Partner
Bauzeit: ___1999/ 2000
Adresse:.__
Altmarkt 10
Webseite: www.gmp-architekten.de
Nichts Verspieltes, kein Spiel
Im Gegensatz zum Hamburger Semper ist der Hamburger Gerkan nur in
einen sehr zögerlichen Dialog mit Dresden und der besonderen
Lebensart in dieser Region getreten. Gegen die Weichheit des Dialektes,
der Landschaft und Topographie setzte der Architekt aus Dresdens Partnerstadt
an der Alster bewußt eine kantige Härte und rechtwinklige
Strenge.
Ja - Gerkan hat sich nicht auf Dresden eingelassen, die Mentalität
der Stadt nicht thematisiert. Viel zu sehr war er darauf bedacht,
seine hanseatische Kühle, seine nördliche Gezügeltheit
emotionaler Äußerung als Stempel auf Dresdens Mitte aufzudrücken,
als das er in einen wirklichen Dialog mit den anderen Gebäuden
am Platz getreten wäre. Schließlich ist der Altmarkt der
zentrale Platz und öffentliche Versammlungsort der sächsischen
Haupt- und ehemaligen Residenzstadt. Jahrhundertelang war der Altmarkt,
ältester Platz der Stadt, neben dem Handelsort ein Festplatz,
Platz für Kommunikation, Spiel und Feiern - für die Vergnügungen
des Hofes gleichermaßen wie für das loyale Bürgertum
und für das gemeine Volk.
Es könnte sein, daß das Hamburger Büro solch eine
Funktion für Spiel und Ausgelassenheit an diesem durch die kommunistische
Herrschaft der SED vorgeprägte politisierende Ausstrahlung auf
diesem Platz nicht in Betracht zog. Zumindest kommuniziert das sehr
voluminöse Gebäude diese Funktion nicht, sondern in erster
Linie triste Computer Büro-Arbeit.
Beißender Spott - der Volkswitz nennt es "Legohaus"
Das Hamburger Büro hat die Aufgabe, dem unvollendeten Hauptplatz
in der Dresdner Altstadt eine neue Identität zu verschaffen,
in der sich Dresden wieder erkennen und finden kann, nicht verstanden.
Das Gebäude korrespondiert nicht mit den weichen Rundungen des
klassischen Arkadengangs an der westlichen Altmarktseite, sondern
antwortet mit außerordentlich harten rechten Winkeln. Viel zu
hoch greifen die wuchtigen Pfeiler der schmalen Arkade in der Seestraße.
Sie vermittelt anstatt Geborgenheit und Wärme dem hastenden konsumierenden
Passanten eher zugige Unbehaustheit.
Sogar die wenigen Vorgaben einer kommunalen Gestaltungsvereinbarung
für den Altmarkt wurden in Form eines getreppten Dachs (im Volksmund:
"Legohaus") distanziert-ironisch
kommentiert (Material: Keramik
- ArGeTon-Steine). Nein, dieses wenig mit Dresden kommunizierende
Haus wird von den Bürgern und Bürgerinnen der südlich
geprägten Elbestadt mit
verständlicher Befremdung und Zurückhaltung aufgenommen.
Sicher, es gibt einige Elemente, die Bezüge zum traditionellen
Dresdner Bürgerhaus aufnehmen: da sind die hochstehenden Fensterformate,
da ist das typische Ziegelrot des Daches und die Dachgauben.
Da ist zudem eine Reminiszenz an die für Dresden signifikanten
kastenartigen Erker - aber warum müssen sie gänzlich aus
glatten, profilosen Glasflächen bestehen?
Da gibt es Andeutungen von (schmückenden?) profilierten dünnen
Stäben über und unter den Fenstern, die der vorgehängten
Fassade aus dünnen Sandsteinplatten neben den Simsen ein wenig
Gliederung verschaffen wollen. Licht und Schatten können an der
ansonsten aalglatten Fassade ein wenig spielen und sie damit etwas
lebendiger gestalten.
Sehr deutsch, sehr streng und gar nicht entspannt
Doch der kurze Eindruck von Lebendigkeit, Dresdner Temperament und
Lebensfreude wird so völlig ausgelöscht, betritt man voll
staunender Neugier den Innenhof durch ein gefängnisartiges Eingangstor
(was für eine Fortführung der reichen Tradition Dresdner
Eisenschmiedekunst!). Dieser triste Hof in einer unsinnlichen, für
Dresden unpassenden krassen Schwarz-Weiß Farbgestaltung ist
dann tatsächlich der Gipfel an Trostlosigkeit. Was hätte
man für eine raffinierte Passage, die zum städtisch-urbanen
Flanieren einladen würde, schaffen können! Aber auch das
ist ein Versagen des Bauherrn: der Allianz Versicherungs-AG, die möglichst
viele Verkaufsflächen schaffen wollten, um einen Maximalbetrag
aus der Immobilie heraus zu pressen. 2012 wurden sogar zusätzliche große Dachgauben in das Dach eingebaut, um diese letzte Büroetage besser vermieten zu können.
Nicht nachvollziehbar war die Entscheidung der Jury zum Wettbewerb,
welche die ehemals vier Parzellen zum Altmarkt hin zu einem ganzen
Block für Investorenfreiheiten zusammenfasste, anstatt Vielfalt,
Abwechslung und Belebung des städtischen Raumes durch strengere
Auflagen einer optisch Unterteilung der langen Fassadenflächen
einzufordern. Andere Architekten des Wettbewerbes bewiesen mit ihren
Arbeiten, daß eine Unterteilung des Blocks sehr wohl möglich
gewesen wäre. Die noch Mitte der 90er Jahre angestrebte Kleinteiligkeit
ist mit diesem Ergebnis ad absurdum geführt worden.

Wettbewerb: Altmarkt Südseite 1996, Entwurf: Walter
Köckeritz
Situation Altmarkt Südseite 1935
Die Stadt Leipzig zeigt ein paar Jahre später mit der 2004 eröffneten
neuen Markgalerie
am Alten Markt von Chr. Mäckler, wie man einen großen Gebäudekomplex
optisch geschickt in mehrere Einzelhäuser funktional gut gliedern
kann.
Einen kleinen Reiz stellt allerdings beim Dresdner Altmarktkomplex
von GMP, obwohl aus der Fußgänger-perspektive kaum wahrnehmbar,
die Verschiebung der Baufluchten im oberen Bereich des Gebäudekomplexes
in der Kramergasse dar.
Das für seine gläsern modernen Bahnhofs- und Messehallen
berühmte Architektenteam erhielt für das "Office Building"
Dresden Altmarkt 2000 den Leon Batista Alberti Preis, welcher dem
maßgeblichen Architekturtheoretiker der Frührenaissance gewidmet ist.
Altmarkt-Wettbewerb
1991 (1. Stufe)

2. Preis. Verfasser: von Gerkan, Hamburg - Lageplan
Herr Gerkan schlug damals ein glasüberdachtes Passagen-system
vor. Die Altmarkt-Nordseite wäre (zusätzlich zur Kulturpalast-Verbauung)
mit einer neuen schmalen Kante zur Wilsdruffer-Straße geschlossen
worden.

Modell Wettbewerb Altmarkt 1991: von Gerkan
Sächsische Gemütlichkeit = Wohl-Fühlen
aus einem mit der Überschrift "Jämmerliches Niveau"
betitelten Interview
des Berliner Tagesspiegels mit Meinhard von Gerkan am 14.03.04:
Mit
dem Wort Gemütlichkeit können Sie wohl nichts anfangen?
"Es ist doch interessant, dass es das Wort Gemütlichkeit
in anderen Sprachen gar nicht gibt. Für mich ist der Begriff
negativ besetzt. Er ist mit Accessoires behaftet, die ich nicht mag:
Volksmusik, Fachwerk, Auslegware, Chiantiflasche mit Kerze drin. Wagenräder
an der Wand, das löst bei mir richtigen Widerwillen aus. (...)
Ich hasse es, auf nostalgische Requisiten zurückzugreifen. Lieber
schaffe ich Atmosphäre mit Materialien (...) alles in einfachen,
klaren Formen. Gemütlichkeit ist nicht nur dort, wo der Holzwurm
seit Jahrzehnten wohnt."
Eine Auflage gegen diesen Widerwillen, sächsische Wärme
und Behaglichkeit zu thematisieren, war es allerdings, die erhaltenen
Gewölbe der im Krieg zerstörten Vorgängerbauten zu
erhalten. Das was am Neumarkt wohl fast alles dem Abrissbagger zum
Opfer fallen wird, konnte hier gerettet werden- eben ganz typische
(historische?) sächsische Gemütlichkeit.
"Gemütlichkeit" laut Duden 1989:
a) das Gefühl der Behaglichkeit auslösende Atmosphäre
b) zwanglose Geselligkeit,
Ungezwungenheit
c)
Ruhe, Gemächlichkeit,
z.B. g. spazierengehen
gemütlich auch: umgänglich, freundlich
"Gemüt"
[mhd: gemuete]
1 Gesamtheit der geistigen und seelischen Kräfte eines _..Menschen
2. geistig-seelisches Empfindungsvermögen; Empfänglich-
_..keit
für gefühlserregende Eindrücke
Text: Thomas
Kantschew 2004
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Innenhof 

Blick von der Kreuzkirche,
April 2005 Fotos oben: Thomas Kantschew

Das Cafe Altmarkt
an der Ecke zur Seestraße 1948. Der Bau war nicht schwer zerstört,
wurde aber für den vergrößerten Altmarkt abgerissen.
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